Die UNESCO erinnert im Rahmen ihrer Gedenktage an berühmte Persönlichkeiten und wichtige historische Ereignisse, deren Bedeutung in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt werden soll. Im Jahre 2009 hat sie den 100. Geburtstag der serbischen Komponistin Ljubica Marić, die am 18. März 1909 im serbischen Kragujevac geboren wurde, unter ihr Patronat gestellt. Anlässlich dieses Jubiläums fand vom 5. bis 7. November in der Serbischen Akademie für Wissenschaft und Kunst eine dreitägige internationale Konferenz statt, bei der sich Wissenschaftler aus Ost- und Westeuropa auf die Spuren von Marić begaben.
Eröffnet wurde die Tagung mit der Uraufführung ihrer erst jüngst entdeckten Miniatur für Flöte sowie einer Rede von Dimitrije Stefanović, dem Generalsekretär der Akademie, und Danica Petrovićs, der Direktorin des Musikwissenschaftlichen Instituts Belgrad.
Marić gehört zu den prominentesten Vertretern der zeitgenössischen Musik Serbiens. Das wichtigste Charakteristikum ihres Œuvres ist die spezifische Synthese von Volksmusik, mittelalterlicher byzantinischer Musik und einer modernen Klangsensibilität. Kompositionsunterricht erhielt Marić in Belgrad bei Josip Slavenski, in Prag bei Josef Suk und Alois Hába; Nikolay Malko lehrte sie das Dirigieren. Alois Hábas Vierteltonmusik und seine nichtthematische Methode sowie Arnold Schönbergs Zwölftonmusik und die Atonalität haben ihre Spuren in Marićs Werken hinterlassen. Dies wurde auch bei den Diskussionen und Konzerten deutlich.
Bereits Anfang der 1930er-Jahre feierte die Musikwelt die Aufführungen ihres Wind Quintets und ihrer „Music for Orchestra“ in Prag, Amsterdam und Straßburg enthusiastisch. So schrieb der Glasgow Herald über die Aufführung des Bläserquintetts auf den Weltmusiktagen der ISCM 1933: „Eines der interessantesten und mit Sicherheit eines der kraftvollsten Werke, welches das Festival der ISCM bislang geboten hat, stammt von Ljubica Marić, einer jungen Frau im Alter von 24 Jahren. Ihr Bläserquintett macht darauf gespannt, was die Zukunft wohl für solche bemerkenswerten musikalischen Gaben bereithalten mag. Das Stück offenbarte ein ganz individuelles Profil, der Einsatz der Instrumente war originell ohne je gekünstelt oder unsicher zu wirken.“
Doch als der reale Sozialismus seinen Einzug in die osteuropäischen Staaten hielt und alle modernen oder gar avantgardistischen Tendenzen in den Künsten strikt untersagte, fühlte sich Marić in ihrem Schaffensgeist beschnitten und ließ ihr kreatives Potenzial in die Malerei, Bildhauerei und Schriftstellerei fließen; so ersann sie poetische und philosophische Gedanken, gesammelt in einem Werk, das sie „Epigramme“ nannte. In ihrer Kantate „Songs of Space“ hatte Marić Grabinschriften auf den Gräbern bosnischer Bogomilen, eine Gemeinschaft, die aufgrund ihrer humanistischen und aufgeklärten Lebensweise von der orthodoxen und der katholischen Kirche kämpferisch verfolgt wurde, kompiliert. Entsprechend klingt Marićs Werk wie ein Psalm aus alttestamentarischer Zeit.
Dimitry Schostakovich schwärmte: „Eine meiner schönsten Erinnerungen an Jugoslawien ist eine Aufführung von Ljubica Marićs Songs of Space. Die Komponistin verwendete das gesamte musikalische Material der zeitgenössischen Musik um ein hohes Maß an Objektivem zu erreichen. Sie spricht aus tiefster Seele in einer klaren, eindrucksvollen Sprache. [...] Sie hat hier die ideale Synthese zwischen dem Geist der Volksmusik und persönlichem Ausdruck gefunden.“
Die Konferenz wurde von einem umfangreichen Orchesterprogramm begleitet. Neben Marics Kammermusik und ihren Orchesterwerken (Žebeljan Orchestra, Leitung Isidora Žebeljan) standen Kompositionen von Alfred Schnittke und Arvo Pärt auf dem Programm, welche von den Modi des serbischen Oktoechos beeinflusst sind. Borislav Cicovacki, der sich als Musiker, Musikwissenschaftler und Schriftsteller, seit Jahren mit Marić befasst und ihr Gesamtwerk ediert, führte durch das Programm und stellte alle Werke vor. Eine große Ausstellung mit Marićs Kompositionen, ihren Gemälden und umfangreichem Ton-, Text- und Bildmaterial ist noch bis zum 14. Dezember in der Akademie im Zentrum Belgrads zu sehen.