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Dirigieren gegen den Untergang: Im Abschlusskonzert der Donau­eschinger Musiktage leitete Chefdirigent François-Xavier Roth das SWR Sinfonieorchester Baden-­Baden und Freiburg. Foto: Charlotte Oswald
Dirigieren gegen den Untergang: Im Abschlusskonzert der Donau­eschinger Musiktage leitete Chefdirigent François-Xavier Roth das SWR Sinfonieorchester Baden-­Baden und Freiburg. Foto: Charlotte Oswald
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Rasenpflege und Rasenmäher – alles in einem

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Donaueschinger Musiktage im Zeichen einer drohenden Orchesterdemontage
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Als ein reicher Amerikaner einmal in England einen vornehmen Lord auf dessen Landsitz besuchte, fragte er bei einem Spaziergang durch den Park leicht neidisch, wo und wie man einen so dichten, festen Rasen bekommen könne. Die Antwort: einmal in der Woche sorgfältig das Gras schneiden und das fünfhundert Jahre lang. Die Anekdote fiel einem wieder einmal ein, als man bei den diesjährigen Donau­eschinger Musiktagen im Abschlusskonzert des Sinfonieorchesters des Südwest­rundfunks (SWR) neue Kompositionen von Bernhard Gander, Aureliano Cattaneo und Franck Bedrossian hörte, nein: erlebte, mit allen Sinnen.

Denn das Orchester, von seinem neuen Chefdirigenten François- Xavier Roth spürbar beflügelt, agierte mit einer Souveränität, Leichtigkeit und intellektuellen Spannkraft, dass die keinesfalls einfachen Partituren eine wunderbare Klarheit, Transparenz und klangliche Plastizität gewannen. Auf die Rasenmetapher bezogen könnte man sagen: Immer wieder die Werke der Komponisten unserer Zeit sich vornehmen, frisch Komponiertes ebenso wie schon zur Geschichte der Neuen Musik zählende Stücke – und das 66 Jahre hindurch. Denn seit 1946 besteht das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden (und jetzt auch Freiburg) mit seiner stattlichen Reihe großer Dirigenten von Hans Rosbaud und Ernest Bour bis zu Michael Gielen, Sylvain Cambreling und jetzt François-Xavier Roth, die nicht nur kompetente Avantgardisten, sondern, aus dieser modernen Perspektive betrachtet, zugleich ungewöhnliche und aufregende Interpreten des klassisch-romantischen Repertoires waren beziehungsweise noch sind.

Ein solches Orchester (und das Gleiche gilt, wenn auch mit veränderten Vorzeichen, für die Stuttgarter Radio­sinfoniker) besitzt einen höchst eigenen Kunstwert, den es zu schützen gilt, auch gegen die institutionalisierten Kompetenzen eines Intendanten. Die Orchestersituation im SWR ist so zugespitzt und zerfahren, dass nur noch ein ordentliches Gerichtsverfahren bis zu einer oberen Instanz für Klarheit sorgen kann. Auch ein traditionsreiches Orchester besitzt seine „Würde“, die nicht einfach so verletzt werden darf, ebenso nicht die „Würde“ seiner Musiker, jedes einzelnen. Vage Vorausschätzungen künftiger Einnahmen und Ausgaben sollten für derartig brutale Eingriffe in die Orchesterkultur einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt nicht genügen. Es müsste schon eine EU-verbindliche Anordnung zur Abschaffung des gebührenpflichtigen Rundfunks vorliegen, um die Existenz aller rundfunkeigenen Orchester in Frage zu stellen. Aber so weit ist man ja glücklicherweise noch nicht, aber mit der geplanten Orchesterfusion doch einen guten (schlechten) Schritt in diese negative Richtung vorangekommen. Die mehr als vierzig schwarzen Grabkreuze, die unbekannte Musikstudenten vor den Donauhallen sowie der Baarsporthalle über Nacht aufgestellt hatten, dokumentierten eine fatale Entwicklung: Jedes Kreuz stand für ein aufgelöstes oder wegfusioniertes Orches­ter im Deutschland der letzten zwei Jahrzehnte. Zwei hohe weiße Kreuze, in der Farbe von Kindersärgen, galten den beiden SWR-Sinfonieorchestern, die 2016 fusioniert werden sollen.

Die Diskussionen über und die Proteste gegen die geplante Orchesterfusion überlagerten zeitweilig die eigentliche Aufgabe der Musiktage: die Präsentation neuer Werke und ihrer Komponisten. Sogar die beiden Orches­terkonzerte erfuhren „Vorspiele“. Bei der Eröffnung sprang der Komponist Johannes Kreidler vor den Augen des SWR-Intendanten aufs Podium, griff sich ein Cello und eine Violine, verknotete beide mit deren Saiten zu einem Kreuz (Symbol für die Unspielbarkeit eines Fusionsorchesters) und trat anschließend das seltsame Gebilde in Trümmer. Solche Aktionen sind zwar gut gemeint und auch aggressiv, beeindrucken aber Funktionärsköpfe auf Intendantenetagen selten. Ernster sollten Letztere aber die stumme Demonstration vor dem Abschlusskonzert nehmen, als sich das versammelte Publikum nach bewegenden Worten des Chefdirigenten Fançois-Xavier Roth geschlossen zu einer Schweigeminute erhob: Wie lange noch kann ein Mensch, auch wenn er noch so hartgesotten alle Einwände ignorant überhört, dem psychischen Druck standhalten? Dem Intendanten Boudgoust schlägt heute schon die Verachtung von mehr als dreißigtausend protestierenden Bürgern und Musikfreunden entgegen, und auch im eigenen Haus steht es mit seiner Reputation nicht zum Besten, von den üblichen Schmeichelrednern einmal abgesehen.
Zur Musik: Die Neigung der Programmgestalter, ihrem Festival ein Motto voranzustellen, hat mit den Jahren immer stärker zugenommen. Auch Donaueschingen entzieht sich dieser Tendenz nicht, und so entschied sich Armin Köhler als verantwortlicher künstlerischer Leiter der Musiktage für das Thema „Mensch und Maschine“. Schon zur weit zurückliegenden Schulzeit hieß ein beliebtes Aufsatzthema „Mensch und Technik“, und wer den älteren Deutschlehrer nicht verstimmen wollte, entschied sich natürlich für den „Menschen“, den die „Technik“ zu überrollen droht. Inzwischen hat sich das kaum noch überschaubare Geflecht elektronischer Techniken und Medien in unser ganzes Leben eingenistet – auch in die Musik, die musikalischen Schaf­fens­prozesse und deren Darstellungen in Sälen, Klangräumen oder in der freien Natur. Armin Köhlers Themenwahl durfte also eine gewisse Aktualität für sich reklamieren. Was aber wurde in den mehr als zwei Dutzend neuen Auftragswerken dazu als weitertragende Substanz gewonnen? Armin Köhler hatte für vier Ensemblekonzerte jüngere Komponisten beauftragt, deren Arbeiten von ebenfalls jüngeren kammermusikalischen Formationen präsentiert wurden.

Ungewöhnliche instrumentale Besetzungen, Video, Verstärker, theatralische Elemente, Live-Elektronik purzelten in vielen Stücken munter durcheinander: Frischwärts in die Zukunft schien für einige Komponisten die Parole zu heißen, aber irgendwie wirkte vieles auf seltsame Art eher retrospektiv, studententheatermäßig wie das norwegische Ensemble „asamimasa“, das in einer überlangen Multimedia-Show Donaueschinger Rituale persiflierend aufspießte und dabei vergaß, dass ein guter Witze in der Regel kurz und zielgenau zu sein hat. Der Neue-Deutsche-Welle-Hit „Ich will Spaß“ schien für manche Komponisten und Ensembles die Hauptantriebsquelle zu bilden, und so hörte es sich an und sah es denn auch aus.

Gleichwohl: Donaueschingen ist kein Festspiel, sondern ein Laboratorium, in dem Versuche an der Musik ausgeführt werden. Auch an einem physikalischen, chemischen oder pharmazeutischen Institut laufen oft lange Versuchsreihen, die keine konkreten Ergebnisse zeigen, nur die Erkenntnis, dass es so nicht geht. Also weiter forschen. Auf geheimnisvolle Weise überzeugten in Donaueschingen einige Werke, die auf die Kraft des Leisen setzten. Beat Furrers „Linea d’orizzonte“ für Klarinette, Trompete, Posaune, Violine, Violoncello, Klavier, Schlagzeug und E-Gitarre ist ein hochinspiriertes Musikstück, mit einem stringenten Formverlauf und feinster Klangfarbenentfaltung, vom Stuttgarter Ensemble „ascolta“ unter Johannes Kalitzke meisterhaft interpretiert. Auch in neuen Kompositionen von Klaus Lang oder Georg Katzer überzeugte die klare Ausbreitung und Verspannung des Materials. Es ist schon eigenartig, dass solche, fast möchte man sagen, „altmeisterlich“ hergestellten Stücke einen mehr emotional berühren als jeder aufwändige technische Apparat zur puren Klang-Geräusch-Kulisse. Musik, die nicht irgendwie transzendiert, neigt zum glatten, oft lärmenden Leerlauf. Oder zur kalten technizistischen Perfektion. War das nicht schon seinerzeit bei einem Pionier der elektronischen Musik, bei Herbert Eimert der Fall?

Im Zentrum der Donaueschinger Musiktage standen und stehen seit Beginn die Konzerte des Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg. Die disparaten Eindrücke in den Ensemblekonzerten ließen diesmal die neuen Orches­terwerke wieder stärker in den Blickpunkt rücken. Im ersten Konzert, von Rupert Huber, erst fünf Tage vor Probenbeginn für den Dirigenten Teodor Currentzis eingesprungen (Huber ist eben ein grandioser Profi, der rasch erkennt, worauf es ankommt), überzeugte die sensible Adaption von Smetanas „Vaterland“ für die mikrotonale Klangwelt von Martin Smolka. Arnulf Herrmann gelingt es in seiner, „durchbrochenen Arbeit“ das Orchester in kammermusikalische Durchsichtigkeit zu führen, instrumentale Details ins helle Licht zu heben. Helmut Oeh­rings neues Werk mit dem Titel „schienen wie Wellen, die in lange Auge“ verarbeitet in bekannter Manier persönliche Erfahrungen, Begegnungen, poltische Ereignisse – hier das Thema „Syrien“ – zu einer quälend langen Konfession, in der es auf formale Disziplin nicht mehr ankommt. Im Schlusskonzert, dirigiert von François Xavier Roth, hinterließ Bernhard Gander mit seinem Stück „hukl“ den stärksten Eindruck: Hier wagte einer den großen Ausbruch, die heftige Geste, die rhythmische Entfesselung. Eleganter und geglätteter dagegen das Orchesterstück „Itself“ von Franck Bedrossian, für das der französische Komponist den Orchesterpreis der SWR-Sinfoniker erhielt. Auch so tüchtige Musiker wie die aus Baden-Baden/Freiburg schätzen von Zeit zu Zeit einmal ein richtiges Orchesterfutter. Es sei ihnen gegönnt, gerade jetzt.

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