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Mark Andre. Foto: Astrid Karger
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Raumerweiterung: Werke von Mark Andre bei den Hamburger Ostertönen

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Die fünften Hamburger „Ostertöne“ standen wieder unter dem Motto „Brahms und Moderne“ und bewegten sich noch konsequenter als in den Vorjahren abseits des Mainstreams. Das war schon im Eröffnungskonzert des Festivals in der Laeiszhalle zu spüren, bei dem Simone Young diesmal anstelle des „Deutschen Requiems“ seltener aufgeführte Werke von Brahms aufs Programm gesetzt hatte: Sein Schicksalslied, die Alt-Rhapsodie und die Motette „Warum ist das Licht gegeben“.

Mit ihrem beseelten Dirigat sorgte Young dabei für einen stimmungsvollen Auftakt: Sie inspirierte ihre Philharmoniker zu einem seidig schimmernden Klang und hatte mit Waltraud Meier bei der Alt-Rhapsodie eine Solistin von großer vokaler Leuchtkraft an der Seite. Auch der von Philipp Ahmann einstudierte NDR Chor sorgte für berückende Momente – nicht zuletzt in der a-cappella-Motette, in der das Ensemble mit zarten und zugleich ganz warm schwingenden Pianissimo-Klängen betörte.

Zum Abschluss des Konzerts gab es dann bereits einen Vorgeschmack auf den zeitgenössischen Schwerpunkt der Ostertöne: Da erklang das Stück „...das O...“ von Mark Andre, dem diesjährigen composer in residence. Der französische Wahlberliner verteilt Sänger und Instrumentalisten nach einem ausgetüftelten Plan auf Bühne und Rängen und nutzt die Live-Elektronik des SWR-Experimentalstudios für eine virtuelle Erweiterung des Raumes. So entsteht ein vielschichtiges Rundum-Klangerlebnis, das sich oft am Rande der Stille bewegt.

Ähnlich wie hier beschränken sich die sparsamen Klangkondensate des 45-jährigen Lachenmann-Schülers häufig auf die musikalische Essenz. Sie kennen keine herkömmlichen Themen und Gesten mehr, sondern fragen danach, „wie weit man verschiedene Kategorien von Stille, Übergängen und Zwischenräumen erleben kann.“

Diese Fragen haben bei Andre, dem Sohn eines protestantischen Pfarrers, häufig einen religiösen Hintergrund. So bezieht sich „...das O...“ auf den Vers „Ich bin das A und das O“ aus der Johannes-Offenbarung und ist – wie auch das Stück „...als...“ - von Ingmar Bergmans "Das siebente Siegel" angeregt. Diesen Filmklassiker mit Andres Musik zu konfrontieren, war eine von vielen guten Entscheidungen der Ostertöne-Projektleiterin Katrin Zagrosek. In der nur von Kerzenschein erleuchteten Hauptkirche St. Katharinen schuf das Trio „...als...“ eine feinnervige Sensibilität – und machte die Zuschauer noch empfänglicher für die anschließende Vorführung von Bergmans Schwarzweißfilm über die Suche nach dem Sinn des Lebens.

Während einige kammermusikalische Werke von Andre nach seinen eigenen Worten „musikalischer Klangstaub“ sind, schlug sein einstündiges Orchesterstück „...auf...“ ganz andere Töne an und entfaltete beim Abschlusskonzert mit dem groß besetzten SWR Sinfonieorchester unter Leitung von Sylvain Cambreling eine virtuose Klangfarbenfülle mit vielen raffinierten Effekten: Da wurden selbst EC-Karten zu Tonerzeugern.

Neben einem beziehungsreich gestalteten Programm boten die „Ostertöne“ auch ein hohes interpretatorisches Niveau, nicht zuletzt in der Vokalmusik: Nach Waltraud Meier war mit Anja Harteros eine weitere Sängerin von Weltformat beim Festival zu Gast. Begleitet von Wolfram Rieger widmete sich die Sopranistin romantischen Werken von Berg, Wolf, Strauss und Brahms – und ließ dabei ihr herrlich dunkles Timbre sinnlich schimmern und erblühen.

Zwei Tage vor ihrem gefeierten Liederabend hatte Barbara Hannigan zusammen mit dem Quatuor Diotima ganz andere Facetten der Vokalmusik beleuchtet – in einem Kammermusikkonzert, das die dichte Dramaturgie der Ostertöne noch einmal beispielhaft vorführte: Da traf Mark Andres Streichtrio auf das dritte Quartett seines Lehrers Lachenmann – und als Rahmen erklangen Bergs Lyrische Suite und Schönbergs zweites Quartett. „Ich fühle Luft von anderem Planeten“ heißt es da im letzten Satz, der den Ostertönen diesmal ihren Titel gegeben hat. In der Tat wehte ein frischer Geist beim Festival - in dieser Form ein unverzichtbarer Impulsgeber des Hamburger Musiklebens, der auch hohen internationalen Ansprüchen genügt.

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