REM – Reihe elektronischer Musik oder auch Rapid Ear Movement – existiert mit einem Konzert pro Monat seit zehn Jahren unter der der einfallsreichen und unermüdlichen Kuration des Komponisten Christoph Ogiermann und des Dokumentarfilmers und Filmemachers Jan van Hasselt. Es ist eine überschaubare Zuschauergruppe, die da kommt, aber die wenigen kommen immer. Ob es von daher ein Risiko war anlässlich des zehnjährigen Bestehens ein ganzes Festival von drei Tagen und vier Konzerten zu organisieren?
Nein, denn die Veranstalter hatten sich für wirklich viel einfallen lassen, und alle drei Konzerte im gemütlich-stimmungsvollen Güterbahnhof und eines in der Kulturkirche St. Stephani waren gut besucht.
Gerd Anders, sonst als künstlerische ehrgeiziger Tontechniker tätig und bekannt, gesellte sich dazu und zeichnet damit für das Programm gleichermaßen verantwortlich: Man sammelte alte Lautsprecher, einige vom Flohmarkt, die meisten aber vom Recyclinghof „Entsorgung kommunal“. Die 240, die dann da in Paaren standen, waren schon mal eine beeindruckende Skulptur. Und alle funktionierten. Die eingeladenen Musiker bestätigten, dass Toncharakter und Qualität des Bremer Lautsprecher-Orchesters (BLO) teilweise weit höher seien als die beste Neuware, die viel stärker vom Mainstream geprägt sei. Eine tolle Idee: die Verbindung von Neuer Musik und Resteverwertung.
Bereits komponierte elektronische Musik wurde über diese Lautsprecher zum Klingen gebracht. Denis Dufour aus Paris bestätigte eine klangliche Vielfalt, die „es sonst gar nicht mehr gibt“. Er bestritt mit fünf Werken aus unterschiedlichen Entstehungsjahren einen Konzertteil voller Einfälle und kompositorischer Qualität, voller Zartheit und Poesie – in der Nachfolge des legendären Pierre Schaeffer, dessen Schüler er war – und Pierre Henry.
Es war aber auch in diesem Festival nicht zu überhören, wie nahe die Gefahr der unkontrollierten Materialbastelei liegt, beispielsweise bei den eher unfertigen Arbeiten des Engländers Adam Asnan. Am stärksten waren in diesem Sinne die Stücke der in Berlin lebenden Schwedin Hanna Hartmann, die mit ihren gesammelten und elektronisch verfremdeten Alltagsgeräuschen von überall her eine bemerkenswerte kompositorische Qualität bietet: so in „Circling Blue“, in der eine klagende Frauenstimme – ein bisschen im Sinne von Luigi Nono – vor dem Hintergrund vorbeirasender Autos – so zumindest die Assoziation – eine überzeugende Semantik aufmacht. Auch Christoph Ogiermann konnte zusammen mit Jürgen Palmtag überzeugen: mit einem Stück über die sich ständig wandelnde Sprache, das geradezu szenischen Charakter erreicht: „Im Aug der Umkehrschule“. Ähnlich bei Jan van Hasselt, bei dem sich dann Virtuosität, Läufe, Gelächter, tierische Laute, und vieles mehr aneinanderreihten. Ein wellenartiges Klangkontinuum mit klaren Strukturen bot John Wiese aus den USA, und ganz anders wiederum erfindet Gabriela Ortiz aus Mexiko ihre prägnanten Miniaturen.
Eine ganz eigene Nummer war der Auftritt des Amerikaners idm theft able – so nennt er sich! –, ein Spieler, der an einer selbst gebastelten metallischen Apparatur ein hoch virtuoses Feuerwerk an Aktivitäten und Lauten von sich gab, unbeschreiblich in der Vielfalt, der Schnelligkeit und vor allem auch der Komik. Der Geiger C. Spencer Yeh (USA) steigerte sich mit seinen selbst gespielten Violinfetzen, die sich über Rückkopplungen ineinander schieben, in ekstatischer Weise.
Ein weiterer interessanter Aspekt des Festivals waren die Stücke mit akustischen Instrumenten und Elektronik. Intensive und spannend neue Klänge bot auch Eli Keszler aus den USA mit seinem Klavierquintett, in dem das Klangspektrum mit langen, über über den Zuschauern gepannten Saiten, erweitert wird.
Die schnell wechselnde Vielseitigkeit war einer der Pluspunkte des Festivals: zum Beispiel die Uraufführung eines Kompositionsauftrages für den Allegro-Chor Stuhr. Der Schlagzeuger Matthias Kaul, recht häufig auch erfolgreich als Komponist tätig, schrieb für vierzig SängerInnen „vom Südwind gefächelt“ – zwar mussten die um das Publikum herumstehenden Interpreten keine Tonhöhen treffen, sie mussten aber mit ihren Pappröhren rhythmisch äußerst genau sein. Eine feine poetische Geräuschkulisse entstand, ungemein engagiert musiziert („Rauschendes, Flüsterndes, sich Bewegendes“ verlangt Kaul) von den Mitgliedern des Chores unter der präzisen Leitung von Karin Gastell, die auch die mitreißende Interpretin zweier Stücke für Orgel und Elektronik war: Hans Ola Ericssons „Melody to the Memory of a lost friend“ (1985) und das nun schon klassische „Interferenzen“ von Bengt Hambraeus, ein Stück, das gerade in Bremen eine eher traurige Berühmtheit hat, wurde es doch 1959 für eine Aufführung im Dom von den Domherren anlässlich von Hans Ottes Festival „Pro Musica Nova“ verboten. Dabei ist es zusammen mit Ligetis „Volumina“ eines der wichtigsten Stücke, die der so festgelegten Orgel eine neu ästhetische Bedeutung gaben. Überhaupt war der Blick auf ältere Stücke lehr- und aufschlussreich: etwa „Funktion Orange“ von Gottfried Michael König, der schon in den sechziger Jahren Klänge wollte, die keine Vergangenheit und keine Tradition haben.
Wie maßgeblich und einflussreich diese Werke waren, merkt man noch heute jeder Komposition für elektronische Musik an. Von Altmeister Hans Joachim Hespos kam ein junges Werk (2011) für elektroakustische Spur und improvisierender Kontrabaß: „Tanek“, immer wieder ausufernde Aggressivität, aber auch Momente des Innehaltens. So ließ die Spannung des Festivals kaum jemals nach.