Pat Metheny hat sich mit dem Orchestrion einen Kindheitstraum bauen lassen, der im März live auch in Deutschland und der Schweiz zu hören sein wird: Ein wie von Geisterhand bewegtes Orchester unter anderem aus Gitarren, zwei von Staubsaugermotoren betriebenen Flaschenorgeln, Klavieren, einem Vibraphon und diversen Perkussionsinstrumenten.
Alles in allem gut 20 Instrumente, die der US-Gitarrist von seiner Gitarre aus zu einem dichten Orchesterklang führt – irgendwo zwischen Gamelanorchester und den poppigen Jazz-Sinfonien der Pat Metheny Group.
Im Interview erzählt er, welche Motivation hinter dem Vorhaben steht, weshalb es das bisher stressigste seiner Laufbahn ist, und warum alles mit einem mechanischen Klavier im Keller seines Großvaters begonnen hat.
Fühlten Sie sich die letzten zwei Jahre, in denen Sie Ihr Orchestrion-Projekt verwirklicht haben, manchmal missverstanden?
Das war tatsächlich so. Ganz am Anfang dachten viele, ich spinne – manchmal sogar meine Frau. Aber mittlerweile weiß ich, wie ich den Leuten das Orchestrion erklären muss.
Wie denn?
Zum Beispiel mit Stevie Wonder. Fast jeder kennt sein Album „Music of my Mind“ oder hat es schon mal gehört. Eine seiner schönsten Aufnahmen. Er hat darauf jedes Instrument, jede Note selbst gespielt und gesungen. Ich mache mit meinem Projekt im Prinzip das Gleiche. Mit einem entscheidenden Unterschied: Das, was bei ihm nur im Studio möglich war, kann ich mit dem Orchestrion live und in Echtzeit spielen.
Worin besteht für Musiker der Reiz, allein mit sich selbst zu spielen?
Das ist, wie wenn man in sich selbst eintaucht. Man ist von Tönen umgeben, die man alle selbst erzeugt hat. Und alles fügt sich ganz wunderbar – wie wenn ein Fingerabdruck absolut exakt zu einem anderen passt. Eine fantastische, ganz eigentümliche Erfahrung. Jeder Musiker, der im Studio schon mal Overdubs mit sich selbst gespielt hat, kann ihnen das bestätigen. Natürlich heißt das nicht, dass diese Art des Musizierens irgendwie besser ist als das, was ich bisher gemacht habe. Sie ist einfach nur anders. Ein paar Mal bin ich schon gefragt worden, warum ich nicht mit richtigen Musikern spiele. Darum geht es doch gar nicht. Ich will niemanden ersetzen. Ich werde weiterhin meine Musik mit der Pat Metheny Group und in anderen Besetzungen spielen. Was ich mit dem Orchestion mache, ist für mich ein neues, eigenständiges Genre. So ähnlich wie der Zeichentrickfilm. Da käme auch niemand auf die Idee zu fragen, warum wie im ‚richtigen’ Film keine ‚richtigen’ Schauspieler auftreten.
Sie haben schon früher Alben gemacht, bei denen Sie entweder alle Instrumente selbst gespielt oder über vorher aufgenommene Musik mit sich selber improvisiert haben: Ich denke an „New Chautauqua“ oder dem von Steve Reich für Sie komponierten „Electric Counterpoint“. Was ist neu an „Orchestrion“?
Mit „New Chautauqua“ habe ich versucht, das Tonstudio wie ein Instrument zu verwenden. Es war klar, dass ich diese Musik so niemals live würde spielen können - jedenfalls nicht allein. „Electric Counterpoint“ haben wir auch als Konzert aufgeführt. Aber richtig live war dabei nur die Gitarre, die nicht vom Band kam. Alles andere – die zwölf Tonspuren, mit denen mein Gitarrenspiel vervielfältigt wurde – waren Aufnahmen. Dem Publikum hat es gefallen, aber ich war irgendwie unzufrieden, weil es eben nicht wirklich live war. Seitdem will ich wissen, ob eine One-Man-Band möglich ist, bei der fast alle Töne - also auch die Begleitung, das Orchestrale – akustisch und in Echtzeit entstehen.
Warum arbeiten Sie nicht – wie so viele Ihrer Kollegen – mit digitalen Loops und den Möglichkeiten des Sampling? Das wäre viel einfacher.
Wegen des akustischen Klangs. Das Orchestrion ist zu hundert Prozent akustisch, weil es aus richtigen Instrumenten besteht. Digital ist nur die Technik, mit der ich von meiner Gitarre aus die einzelnen Instrumente ansteuern und dirigieren kann. Das Ding ist ein analog-digitaler Zwitter – deswegen spreche ich manchmal auch von Orchestronics.
Was missfällt Ihnen an digital oder elektronisch erzeugten Klängen?
Dass die Musik immer nur aus einem Lautsprecher kommt. Wenn nur ein Instrument – zum Beispiel eine Gitarre – aus einem Verstärker tönt und der Bass am anderen Ende der Bühne aus einem anderen, ist das unproblematisch. Aber sobald eine vielschichtige, mehrstimmige Komposition aus nur zwei Lautsprechern kommt, geht sehr viel verloren. Für meinen Geschmack zu viel. Das ähnelt mehr einer Aufnahme, die vor Publikum abgespielt wird, als einem Livekonzert. Der Klang akustischer Instrumente, die über eine Bühne verteilt sind, ist so viel komplexer. Wenn sich Töne in der Luft vermischen, klingt alles transparenter, räumlicher und schöner, als wenn diese Musik elektronisch erzeugt und durch ein paar Lautsprecher gejagt wird.
Hat damit der Titel „Spirit of the air“ zu tun, eine Komposition auf Ihrer neuen, mit dem “Orchestrion” eingespielten CD?
Genau das ist gemeint. Der Songtitel ist meinen beiden Söhnen eingefallen. Er passt perfekt: Ohne Luft und Luftmoleküle, die von Instrumenten nach musikalisch-physikalischen Gesetzmäßigkeiten in Bewegung gesetzt werden, gäbe es keine Musik. Das ist mit „Spirit of the Air“ gemeint.
Stimmt es, dass sich Ihre Faszination mit Musikmaschinen einem mechanischen Klavier verdankt, das bei Ihrem Großvater herumstand?
Ich war neun Jahre alt, als ich dieses Ding zum ersten Mal bei meinen Großeltern gesehen habe. Es stand im Keller herum: Die Musik dafür war auf Papierrollen gespeichert. Wenn man es damit fütterte und die Pedale bewegte, bewegten sich die Tasten auf einmal und das Klavier spielte Musik. Ich habe dieses mechanische Instrument geliebt. Das war der Anfang eines Traums, den ich mir mit dem Orchestrion erfüllt habe.
Die Musikmaschinen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts waren allesamt viel dümmer und unmusikalischer. Vor allem waren sie schrecklich monodynamisch: Jeder Ton wurde gleich stark angeschlagen, alles war gleich laut oder gleich leise. Deswegen konnte man ihnen auch nur 30 Sekunden zuhören bevor man riskierte, verrückt zu werden. Mein Orchestrion dagegen lässt sich dynamisch spielen. Die Elektromagneten, die alle Instrumente ansteuern, geben Unterschiede in der Lautstärke oder Art des Anschlags sehr exakt wieder. Ähnlich ist es mit dem Timing, das auf die Millisekunde genau ist. Deswegen rumpelt das Orchestrion rhythmisch auch nicht so vor sich hin wie die Musikmaschinen von früher, bei denen das Timing oft um mehr als eine Sekunde auseinander lag. Man kann das Orchestrion richtig zum Grooven und Swingen bringen.
Reagiert es auch wie ein Musiker?
Nein. Es macht nichts von sich allein. Es ist einfach nur ein riesiges Instrument. Es hört mir natürlich auch nicht zu, macht aber alles, was ich ihm befehle. Stellen Sie es sich einfach wie einen großartigen, aber tauben Musiker vor.
25 Instrumente, die Sie alle von Ihrer Gitarre aus steuern, auf der sie zusätzlich auch noch live dazu improvisieren: Ist das alles nicht wahnsinnig stressig?
Das ist so ziemlich das stressigste, was ich jemals gemacht habe. Ich bin Solist und Orchesterchef, Komponist und Improvisator in einem und muss mir alles auch noch merken – die Einsätze der verschiedenen Instrumente, wie alles technisch funktioniert, wann ich welchen Knopf drücken muss. Aber es ist eben auch ein Riesenspaß. Jeder der das Orchestrion bislang erleben durfte, hatte binnen Sekunden ein großes, ungläubiges Lächeln im Gesicht.
Der Aufwand für diese Tour muss immens sein.
Sicher. Das Ding besteht aus Tausenden von Einzelteilen: Von der Flaschenorgel über Staubsaugermotoren bis hin zu Gitarrenrobotern und irgendeinem einzelnen Kabel. All das muss sicher bewegt und richtig aufgebaut werden.
Machen Sie damit logistisch den Rolling Stones Konkurrenz?
Für das Jazzprojekt eines einzelnen Musikers mag der Aufwand riesig erscheinen. Für den Rock ‚n‘ Roll-Zirkus der Rolling Stones ist das gar nichts. Da kümmern sich die zwölf Leute, die bei mir für den Transport, den Aufbau und das Funktionieren des Orchestrion zuständig sein, nur um‘s Catering.
Was machen Sie, wenn das Orchestrion seinen Geist aufgibt?
Dann heißt es ganz traditionell: Solo Guitar, Baby! Irgendwas muss ich ja spielen, wenn mich das Orchestrion im Stich lässt. Aber ich glaube nicht, dass das passieren wird. In der heißen Phase unserer Tourvorbereitung haben wir sechs Wochen lang jeden Tag 20 Stunden gearbeitet, damit das nicht passiert.
In Südtirol gibt es ein Jazzfestival, bei dem Konzerte hoch am Berg auf Hütten stattfinden.
Eine hübsche Idee, aber leider nichts für dieses Projekt. Da müsste ich sechs Monate vorher damit beginnen, das Orchestrion auf den Berg zu schleppen. Und am Ende wäre die Hütte zu klein. Da bleibe ich lieber im Tal.
Aktuelle CD:
Pat Metheny: „Orchestrion“ (Nonesuch/Warner)
2. März: Berlin (Philharmonie)
3. März: Hamburg (Laeiszhalle)
4. März: Bremen (Glocke)
6. März: Köln (Philharmonie)
8. März: Dortmund (Konzerthaus)
10. März: Frankfurt (Alte Oper)
11. März: Baden-Baden (Festspielhaus)
12. März: Zürich (Volkshaus)
13. März: Backnang (Bürgerhaus)