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Schilfuferlandschaft: Dmitri Tscherniakow inszeniert Rimsky-Korsakow in Amsterdam. Foto: Monika Rittershaus
Schilfuferlandschaft: Dmitri Tscherniakow inszeniert Rimsky-Korsakow in Amsterdam. Foto: Monika Rittershaus
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Russischer Glaube versetzt Städte und Gemüter: Nikolai Rimski-Korsakow ausladende „Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch“ in Amsterdam

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In diesen Wochen macht sich an den Opernhäusern in verschiedenen europäischen Hauptstädten eine auffallende Präsenz russischer Opern bemerkbar – außer in Paris und Wien z.B. auch in Amsterdam. Das mag daran liegen, dass die Direktionen der repräsentativen Theaterhäuser einer stillschweigenden Erwartung bzw. auch dem einen oder anderen leisen Wink aus den Machtzentren folgen: angesichts der weitgehenden politischen Isolierung des autoritär regierten großen Landes im Osten signalisieren sie Zeichen der Einbindung ins „europäische Haus“.

Wieder einmal gilt die alte diplomatische Faustregel: Wenn sonst nichts geht, geht die Musik. Und die ist bei der letzten Oper von Nikolai Rimski-Korsakow (1844–1908) von praller Wucht und gläubiger Pracht. Sie wuchert postwagnerisch mit tönend bewegten Naturschilderungen und prunkt mit einem Sehnsuchtston unerfüllbarer Liebe.

Die Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch, die in verschiedenen alten Handschriften auftaucht, wurde 1875 in einem populären Roman von Pawel Melnikow aufgegriffen und wanderte dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die russischen Konzertsäle sowie auf die Opernbühnen. Auch die von Wladimir Belski entwickelte Libretto-Vorlage für Rimski-Korsakow erinnert an die Herausbildung der russischen Nation im Kampf gegen die Tartaren – und an die Kraft spendende Bedeutung des orthodoxen Glaubens für die Abwehrkämpfe gegen grausame Reiterheere aus der Tiefe des asiatischen Raums. Die Oper, Rimski-Korsakows letzte, wurde Anfang 1907 im Mariinski-Theater zu St. Petersburg uraufgeführt, dort und in Moskau erfolgreich – 1926 jedoch grundlegend umgearbeitet: der überstarke religiöse Grundton der Fabel wurde umredigiert in Heroisierung eines russischen Unabhängigkeitskampfs. In dieser Form war das Werk auf den sowjetischen Bühnen verbindlich. Jetzt kam es in originaler Gestalt und mit viereinhalb Stunden Dauer in Amsterdam heraus.

Das Werk ist eine Apotheose des christlichen Russland zehn Jahre vor dessen Untergang. Die neue Amsterdamer Produktion, die einer Wiederentdeckung gleichkommen dürfte, bekennt sich in ungekürzter Ausführlichkeit zu den ausladenden Dimensionen und zur Wucht des Originals – hinsichtlich des in ein großes christliches Bekenntnis zum Auferstehungsglauben mündenden Textes und mit den schwelgenden und jubilierenden Schönheiten der Musik.

Marc Albrecht unterstreicht nicht nur die Momente der Prachtentfaltung, die sich auf gewaltige Chöre und ein außerordentlich groß bestücktes Orchester stützt, sondern hebt auch die Härte der musikalischen Kriegsmomente mit aller Klarheit hervor – kulminierend in einem grandiosen Zwischenspiel im dritten Akt. Der Dirigent zieht die großen Linien durch bei gleichzeitiger hochkonzentrierter Aufmerksamkeit für die pittoresken Details. Im Zuge der tonalen Naturschilderungen Rimski-Korsakows weben sich ja nicht nur die Siegfried- und Fafner-Wälder weiter, sondern ruft z.B. auch der Kuckuck sein zweitöniges Brautlied dazwischen. Zu Beginn wird in einem ausladenden Tableau die vollständige Übereinstimmung zwischen der eremitisch lebenden gottesfürchtigen Fewronija und Gottes unendlicher Natur beschworen – die ausladenden Sopran-Partie ruht in einem weichen Streicherbett als wohlmeinender Basis des Erhabenen. Svetlana Ignatovitch durchmisst die große und anspruchsvolle Partie mit sicherer Stimmführung in allen Lagen: sie überzeugt rundweg als Bauernmädchen wie als Prinzessin in den Wechselfällen der Geschichte und schließlich als entrückte Heilige.

Die altrussische Handlung datiert auf das Jahr 6751 seit Erschaffung der Welt, also einen Zeitpunkt, den man besser nicht allzu genau in ein Datum des julianischen oder gregorianischen Kalenders umrechnet. Jedenfalls führt sie das unbeschwerte Leben der schönen Fewronija auf dem Lande vor Augen und die Liebe, die in einem jungen Jäger zu ihr entbrennt – dieser Tenor, der sympathisch wirkende und angenehm intonierende Maxim Aksenov – ist kein anderer als der von einem Bären verletzte und einer ersten Hilfe bedürftige Prinz Wsewolod. Der Sohn des Fürsten Juri, dessen Herrschaftsgebiet von Reitern der Goldenen Horde heimgesucht wird, verlobt sich Knall auf Fall mit dem Bauernmädchen, was ihm nach Rückkehr in die Stadt keinen ungeteilten Beifall einträgt.

Dmitri Tscherniakow erntete, kaum dass sich der Vorhang das erste Mal hob, freudigen Beifall für sein erstes Bühnenbild: Hinter drei majestätischen Kiefernstämmen eröffnet sich in leichtem Morgennebel eine weite Schilfuferlandschaft – so, als sollten Gorkis „Spätsommergäste“ gegeben werden. Neben Fewronijas Holzhütte und mit etwas Abstand zum Esstisch im Freien ragen drei recht roh gezimmerte Leitern in den Rundhorizont: eine erratisch immer wieder aufkreuzende Kleinfamilie – Vater, Mutter, Kind – leisten der Einsiedlerin Gesellschaft, verschönern ihr das Dasein mit einem an einen Baum genagelten Stillleben und bleiben ihr bis zu Tod und Verklärung treu.

Die Stadt Kitesch wird in Tscherniakows entschiedener Bildwelt vom „Haus des Volkes“ in einer postsowjetischen Provinzhauptstadt repräsentiert. Das Volk feiert vor der trostlosen Fassade und wird von einer Art tschetschenischer Terroristen aufgemischt. Im Inneren des Mehrzweckgebäudes findet die große und erfolgreiche Bitte um Errettung von Mord, Plünderung und Vergewaltigung statt. Die arme Fewronija erwischt es bei der Beuteteilung der Tartaren trotzdem. Der postsowjetische Regisseur zeigt die „politischen Wirren“ und deren für die Einzelnen mitunter unerfreulichen Begleiterscheinungen drastisch und klar. Daher ist die Wiederkehr des traulich erleuchteten Eremitenhäuschens zur Entrückung, die von allzu frommen musikalischem Schwelgen wattiert wird, doch noch einigermaßen erträglich (obwohl natürlich hinter diesem Kitesch der Kitsch lauert). Tscherniakow ist, wie dem Dirigenten Marc Albrecht, eine Balance geglückt, die bejubelt wird: dieser Reflex gegen das „heidnische Russland“ im Zuge einer musikalischen Re-Christianisierung scheint die Gemüter, die weit weg von all der blutigen und grausamen Geschichte und Gegenwart leben, zu erwärmen. Gerade in Zeiten, in denen selbst die Amstel zugefroren ist und die kalte Luft im nächtlichen Amsterdam die Straßenzüge wie gemalt erscheinen lässt – wie auf naiven Bildern gemalt.

 

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