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Sängerwettstreit 1778: André-Ernest-Modeste Grétrys „Das Urteil des Midas“ in Rheinsberg

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Richard Wagner lässt seine „Meistersinger“ darüber streiten, ob das Volk auch über die Kunst Richter sein dürfe. Neunzig Jahre früher schließt der in Richard Wagners Geburtsjahr 1813 verstorbene Komponist André-Ernest-Modeste Grétry den Wettstreit dreier Sänger um zwei Bräute im finalen Rundgesang seiner Oper „Le Judgement de Midas“ mit der Delegation des Urteils an das Auditorium. In einer neuen deutschen Fassung realisiert ein sehr junges Ensemble die „Comédie en trois actes“ im Schlosstheater Rheinsberg mit großer Spielfreude.

Grétrys Oper auf ein Libretto von Thomas Hales (unter dem Namen Thomas d’Hèle) erzählt vom Himmelssturz Apollons, der bei einem Bauern als Knecht arbeitet und dessen beide Töchter deren Bräutigamen ausspannt. Die Handlung verstand der Komponist als musikalische Allegorie auf die göttliche Kraft seiner neuen Musik im Vergleich zu jener der beiden Bräutigame, die er parodistisch und mit in seiner Partitur nachgewiesenen Zitaten des überkommenden Vaudeville und eines als Selbstzweck virtuosen Kastratengesangs der Oper Seria charakterisiert.

Die Schwerpunkte dieser Partitur liegen auf dem Gesang, das Orchester – mit zweifachem Holz, zwei Hörnern und Streichern – besitzt reine Begleitfunktion. In der Gewitter-Ouvertüre, die auch im Konzertsaal Berühmtheit erlangte, kommt ein Donnerblech musikalisch zum Einsatz.

„Le Judgement de Midas“ wurde am 28. März 1778 zunächst als Privataufführung im Palais Royal und drei Monate später an der Comédie-Italienne in Paris uraufgeführt und vom Klerus heftig befehdet. Die deutsche Erstaufführung erfolgte drei Jahre später in Bonn und Berlin, und so lag es nahe, diese Oper zum zwanzigjährigen Jubiläum der Musikakademie Rheinsberg daselbst zur Wiederaufführung zu bringen (Stückauswahl: Dr. Ulrike Liedtke).

Denn in einem Seitenflügel des Kavalierhauses von Schloss Rheinsberg hatte Kronprinz Friedrichs Bruder Heinrich 1774 ein Theater errichtet, das bis zum Jahre 1802 zweimal wöchentlich bespielt wurde. Seit die Musikakademie ihren Sitz im Schloss hat, wurde in die alten Mauern des zwischenzeitlich anderweitig genutzten Hauses ein neues Theater mit sehr tief liegendem Orchestergraben integriert. Hier wird nunmehr allsonntäglich Theater gespielt.

Da auch in Grétrys Original die Aktion bereits bei offenem Vorhang beginnt, verzichtete die jüngste Produktion, gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, auf den Vorhang ebenso, wie auf den Chor der Landleute, zumal dieser ohnehin nur die Schlussensembles verstärkt hatte.

Großes Gewicht im Handlungsverlauf haben die gesprochenen Dialoge, in der ursprünglichen Opéra comique „en prose“, in der Übersetzung und Textfassung von Babette Hesse in durchaus witzigen Reimen, die von den jungen Sängerdarstellern und dem im Original als Sopran, hier aber mit einem Tänzer besetzten Merkur (Uwe Czebulla) gekonnt deklamiert werden.

Im Einheitsraum mit farbigen Lichtwechseln (Bühne: Helke Hasse) dienen eine Spiegelkugel, eine Himmelsleiter und sieben Storyopor-Quader als Grundausstattung. Hinzu kommen – wohl mit Bezug zu Wagners „Meistersingern von Nürnberg“ – fahrbare Gemerke, zunächst zwei als Zimmer für die heiratswilligen Töchter Chloé (Angela Brun, mit kernigem, jugendlichen Sopran) und Lise (Juliane Hermann, facettenreich, aber mit Intonationsschwächen), sowie für den Dorfschulzen Midas, den Kunstförderer und musikalischen Richter seines Ortes. Dieser Merker erhält als Strafe für sein künstlerisches Fehlurteil, für sein Festhalten am Überkommenen, am Ende von Apoll Eselsohren aufgesetzt.

Ob es dem tenoralen Sängerdarsteller des Midas (Manuel María Gómez Ruiz) deshalb gestattet sein sollte, auch unrhythmisch und detonierend zu singen, ist allerdings fraglich. An Sangeskunst wird der Tenor Peter Potzelt in der Rolle des im Sängerwettstreit und erotisch mit beiden Töchtern siegreichen Sangesgottes Apoll in der Rheinsberger Aufführung gesanglich doch überboten von seinen menschlichen Gegenspielern, dem Counter Christophe Villa als Marsyas im italienischen Arienstil und dem markigen Bariton Thomas Streipert als einem Vaudeville-Zitate polternden Pan. Der blutjunge Bariton Daniel Wunderling reüssiert in der Vater-Partie des Palémon. Ihm zur Seite bietet Eva Eiter ein Charakterbild der erotisch unterfordernden, ständig mit ihrem Gatten streitenden Mopsia. Elias Grandy leitet das zumeist sauber intonierende Orchester mit frischen Impulsen. Die mehr aktionistische denn aktionsreiche Inszenierung von Barbara Schöne initiiert ein überbordend pralles Zusammenspiel der jugendlichen Protagonisten, zur Freude des Rezensenten und des am zweiten Abend nicht bis auf den letzten Platz gefüllten, 300 Besucher fassenden Auditoriums.

Weitere Aufführungen: 29., 30. April, 1., 7., 8. Mai 2011

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