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Anton Urspruch (1850-1907). Foto: Wikimedia Commons
Anton Urspruch (1850-1907). Foto: Wikimedia Commons
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Schattenboxen unterm Tuch: Anton Urspruchs „Das Unmöglichste von Allem“ in Leverkusen

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Leverkusen gilt nicht unbedingt als Opernstadt. Doch das städtische Forum, ein Bürgerhaus aus den späten Sechzigern, in dem vom Grundriss bis zur Stuhllehne alles sechseckig ist, bietet nicht nur den bekannten Leverkusener Jazztagen eine Heimat. Das Haus besitzt auch einen Theatersaal, mitsamt Orchestergraben und fast tausend Plätzen, der sogar noch recht gut klingt.

Nun hatte Leverkusen für einen Abend auch noch Anton Urspruch – und den hat sonst niemand. Unter der Regie von Peter P. Pachl führte das pianopianissimo-musiktheater im Forum die Oper „Das Unmöglichste von Allem“ des weitgehend vergessenen Spätromantikers auf. Israel Yinon führte das Orchester des Sorbischen National-Ensembles Bautzen durch die Partitur dieser Ausgrabung.

Anton Urspruch, 1850 in Frankfurt geboren und 1907 als renommierter Komponist und Konservatoriumslehrer gestorben, hatte mit dieser komischen Oper den größten Erfolg seiner Laufbahn gelandet. Nur sporadisch sind zuletzt wieder Werke von ihm aufgeführt worden. Das allerdings ist nicht nur der musikhistorischen Furie des Verschwindens und ihrem unversöhnlichem Wirken geschuldet. In diesem, wie in so vielen anderen Fällen, wurde erheblich nachgeholfen. Als sogenannter „Halbjude“ war der Liszt-Schüler Urspruch in den dreißiger Jahren auf der Verbotsliste gelandet. Erst in jüngster Zeit ist deutlich geworden, dass dieser Versuch, einen Teil des kollektiven Gedächtnisses auszulöschen, in seinen Auswirkungen bis heute nicht völlig überwunden ist. Namen, die nicht das Gewicht von Mendelssohn oder Meyerbeer hatten, sind mit erschreckender Effektivität getilgt worden.

Urspruchs „Das Unmöglichste von Allem“ wurde 1897 in Karlsruhe uraufgeführt, die Oper basiert auf einem Lustspiel des spanischen Renaissance-Dichters Lope de Vega. Peter P. Pachl, der ein vehementer Urspruch-Apologet ist und die nächsten Wiederaufführungen schon geplant hat, inszenierte das Stück erstmals in voller Länge, ohne die vom Komponisten autorisierten Striche, die es selbst bei der Uraufführung gegeben hatte. Das ist schön, einerseits, man wird aber, andererseits, damals seine Gründe gehabt haben. Das Libretto, von Urspruch selbst aus der Vorlage herausentwickelt, hat durchaus seine starken Momente, immer dann nämlich, wenn die Situationskomik mit heftigen Wortverdrehungen unterstützt wird. Für ein Werk, das an der Schwelle zum 20. Jahrhundert entstanden ist, wirkt jedoch nicht nur der Text, zuweilen auch der ganze Gestus der Oper überraschend stilisiert.

Urspruchs Erfolgsstück hat große Ähnlichkeit mit Mozarts „Cosi fan tutte“, auch hier geht es um die Frage, wie flatterhaft Frauenherzen denn nun sind. Ziemlich, so zumindest verkündet, vom Thron herab, die spanische Königin (Rebecca Broberg): „Doch ein liebbegehrend Weib / zu behüten ewig bleib’ / das Unmöglichste von Allem.“ Roberto (Robert Fendl) bietet der Monarchin die Stirn. Zusammen mit seinem Adlatus Fulgenzio (Victor Petitjean) will er seine Schwester Diana (Anne Wieben) zum Tugendwunder machen: „Uneinnehmbar bleibt Diane!“ Tatsächlich wird er seine Wette verlieren. Die Königin hat den Berufsschürzenjäger Lisardo (Matthias Grätzel) auf Diana angesetzt, in dem jedoch wider erwarten aufrichtige Liebe entflammt. Nach allerlei Maskeraden, Tricks und Tändeleien wird schließlich geheiratet, Diana sinkt in Lisardos Arme und auch ihre Dienerin Celia (Caterina Maier) findet mit Lisardos Begleiter Ramon (Ralf Sauerbrey) den Mann fürs Leben.

Der Münchner pianopianissimo-Truppe mangelt es nicht an Spielfreude, der Körpereinsatz ist groß, Klischees der Gattung werden in der Regel glücklich umschifft. Ein wenig Klamauk muss man sicher draufsetzen auf dieses Stück, damit es nach einem Jahrhundert überhaupt noch als Komödie erkennbar ist – auch der Humor hat seine eigene Geschichte. Das gelingt auch gut, das ständige augenzwinkernde Gezappel der Akteure, die gerade nicht im Mittelpunkt stehen, muss man aber sicher nicht so witzig finden, wie Pachl das augenscheinlich tut. Etwas weniger Schattenboxen, dafür ein wenig mehr Zug zur Rampe hätte dem Bild nicht geschadet.

Rebecca Broberg hat als Königin bei alledem nicht viel zu melden. Sie ist der staatstragende unbewegte Beweger, der der Handlung den Anstoß gibt, tritt dann erst zuletzt wieder in Erscheinung. Robert Fendl hat als eifersüchtiger Bruder allen Anlass zum vokalen Toben, das Schmachten übernimmt derweil Matthias Grätzel, der den verzweifelten Liebhaber vielleicht gerade deshalb gut trifft, weil ihm in manchen Passagen die Mühe anzumerken ist. Victor Petitjean singt den Fulgenzio zwar reichlich kehlig, schauspielerisch gibt er ihm aber einen herrlich slapstickhaften Zuschnitt. Anne Wieben hat als Diane einen schweren Stand gegen Caterina Maier, die mit der Zofe Celia eine dankbare, auch recht umfangreiche Partie erwischt hat. Sie hat nicht nur einen schön gefärbten, leicht in die Höhe gehenden Sopran, gar nicht so soubrettenhaft, wie man die Rolle auch füllen könnte. In Sachen Bühnenpräsenz steckt sie, egal ob gerade verführerisch oder verschüchtert, den Rest des Ensembles in die Tasche.

Die Bühne von Robert Pflanz ist für eine Low-Budget-Produktion recht exemplarisch. Nur ein Tuch im Camouflage-Muster hängt da aus dem Bühnenhimmel, doch das wird immer wieder neu arrangiert, bietet den Sängern Schlupflöcher und wölbt sich am Ende gar zum Dach des königlichen Thronsaals. An dieser Ökonomie der Mittel könnten sich manche der mit letztlich auch nicht aussagekräftigeren Ausstattungsorgien aufwartenden größeren Häuser ein Beispiel nehmen. Israel Yinon gibt sich mit dem Orchester des Sorbischen National-Ensembles Bautzen alle Mühe, die expressiven Aufwallungen der Partitur aufzuplustern, auch Urspruchs instrumentale Effekte kommen deutlich heraus. Überhaupt die Urspruchsche Musik: Sie ist dicht gesetzt, oft polyphon und bietet – womit wieder Mozart anklingt – regelmäßig virtuose Ensembles auf, in denen die Handlung turbulent vorangetrieben wird. Als Verstärker des Bühnengeschehens funktioniert sie gut, lediglich an Erinnerbarem, gar an einem Gassenhauer fehlt es. Vielleicht ist gerade das aber auch zuviel verlangt, vielleicht ist diese flüchtige Geschmeidigkeit der Musik für eine Spieloper des späten 19. Jahrhunderts sogar ein Qualitätsmerkmal.

Glenn Gould hat einmal gefragt: „Sollen wir die raren Romantiker ausgraben?“ Der Pianist urteilte seinerzeit noch abschlägig. Auch wenn die Musikgeschichte jetzt wahrscheinlich nicht neu geschrieben werden muss, kann man nach dem Leverkusener Urspruch doch sagen: Nur zu!

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