Einen „Brückenschlag zwischen den Disziplinen und zwischen den Generationen“, den wünscht sich Intendantin Elisabeth Schweeger zur Eröffnung der ersten Kunstfestspiele Herrenhausen in Hannover. Und beim Blick ins Programm des ehrgeizigen neuen Festivals, scheint dieses Ziel mit einer musikalischen Bandbreite von Bach und Monteverdi bis Wolfgang Rihm und Heiner Goebbels durchaus in greifbarer Nähe zu sein.
Gute Erfahrung als Brückenbauer bringt da unter anderem Aktionskünstler Christoph Schlingensief mit, der sein neuestes Projekt, das in Burkina Faso entstehende Operndorf Remdoogo, in Form einer Installation auf dem Areal der Herrenhäuser Gärten vorstellt. Mitten drin zwischen den akribisch gestutzten Hecken und den mit Zirkel und Lineal gezogenen Blumenbeeten der Herrenhäuser Gärten stehen da ein Frachtcontainer und provisorische Bretterbuden in denen auf Bildschirmen Videoaufnahmen von den Bauarbeiten in Afrika flimmern. Vom Polsterstuhl im Gelsenkirchener Barockstil lässt sich dabei verfolgen, wie Schlingensief neueste Vision allmählich Gestalt annimmt. „Ein Opernhaus mitten in der Pampa, das ist eigentlich genau so, wie das Wagner in Bayreuth gemacht hat.“
Und dort hat Schlingensief inzwischen ja auch schon so seine Erfahrungen gesammelt. Trotzdem räumt er gleich von Anfang an mit Vorurteilen auf, die ihn zum neuen Fitzcarraldo stilisieren, der den Afrikanern unsere hohe Kunst näherbringt. Remdoogo soll ein Zentrum werden, in dem die Kreativität der Menschen vor Ort gefördert werden soll. Ein Projekt, bei dem wir von Afrika lernen und kein westliches Kultur-Event vor fremdländischer Kulisse. Geplant sind daher neben dem Theater auch noch Agrarflächen, eine Schule, Werkstätten und ein Krankenhaus.
Was aus dieser sozialen Utopie noch werden wird, muss die Zukunft zeigen. Aber wahrscheinlich hat auch der gute Monteverdi dereinst noch nicht geahnt, dass er mit seinem „Orfeo“ den Grundstein für eine Gattung legen würde, die allen Schwarzsehern zum Trotz bis heute höchst lebendig ist. Am Eröffnungsabend der Kunstfestspiele ist dies vor allem dem Ensemble Kaleidoskop zu danken, das unter der Regie von Alexander Charim ein rauschendes Hochzeitsfest für Orpheus und Eurydike aufführt, bei dem auch das Publikum im wahrsten Sinne hautnah dabei ist. Und auch hier verschmilzt der Ort gewissermaßen mit dem Kunstwerk, wenn die Zuschauer beim Pausensnack auf der Terrasse vom Orchester verfolgt werden, oder man zum Abstieg in die Hölle gemeinsam rüber zur Orangerie pilgert. Dort wird dann Monteverdis Partitur endgültig aufgebrochen, nachdem zuvor bereits eine Brass Band am Beginn des Abends mit schmissigem Balkansound für den ungewöhnlichen Prolog gesorgt hatte.
Nun sind es kratzende dissonannte Cello- und Geigensoli, die den Musikfluß umlenken. Fährmann Charon hat da folgerichtig auch nichts mehr zu singen und mutiert zum abgehalfterten Rockstar, der in Gestalt von Kurt Cobain erscheint und aus seinen Tagebucheintragungen zitieren darf. Und ob man es glaubt oder nicht, das Experiment funktioniert und alle Teile fügen sich, nicht zuletzt auch dank des energiegeladenen Dirigats von Olof Bomann, zu einem schlüssigen Ganzen.
Ratloser lässt einen dagegen teilweise die Maschinenoper „Caprificus“ von Thomas Goerge zurück. Eine klingende multimediale Installation, deren musikalische Assoziationskette von der „Matthäuspassion“ über Ballermann Hit und James Bond schließlich beim „Parsifal“ endet, womit wir indirekt wieder bei Christoph Schlingensief wären, für den Goerge das Bühnenweihfestspiel damals in Bayreuth ausgestattet hatte. Weitere musikalische Installationen werden bis Ende Juni unter anderem noch von Rebecca Saunders und Ludger Engels beigesteuert, die damit einen Gegenpol zu Francesco Cavallis Oper „Artemisia“ bilden, die von den Originalklangspezialisten des Ensembles La Venexiana aufgeführt wird. Im Konzertbereich sorgen Künstler wie die das Freiburger Barockorchester oder das Ensemble Modern für einen abwechlungsreichen Spielplan, der die Latte für die kommenden Festspiele schon jetzt im ersten Durchgang hoch legt.