Karajan hat sie eröffnet, Petrenko ist hier heute Chefdirigent. Seit 60 Jahren beherbergt die Philharmonie Berlin die dirigierenden Spitzen der Welt. Der Bau gilt als Architektur-Ikone - und birgt musikalische Glanzlichter.
Berlin - In der oft eher grauen Metropole fällt eine golden schimmernde Fassade schnell ins Auge. Schon seit 60 Jahren zieht die Philharmonie Berlin mit ihren geschwungenen Dachlinien die Blicke in der Nähe des zentralen Potsdamer Platzes wie magisch auf sich. Die bereits ursprünglich geplante, aus Kostengründen erst später installierte Außenhaut hat den optischen Effekt noch verstärkt. Das zunächst umstrittene, heute als genial geltende Werk des Architekten Hans Scharoun (1893-1972) wurde am 15. Oktober 1963 eröffnet.
Ikone für 17 Millionen Mark
Der inzwischen als Ikone gefeierte Bau war im kriegszerstörten Berlin das erste Gebäude für das später entstandene Kulturforum mit seinen Museen und Instituten von Weltruf. Am anderen Ende des weiten Platzes baute Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) die mit viel Glas und Stahl völlig anders geartete, aber nicht weniger gefeierte Neue Nationalgalerie. Zwischen diesen beiden architektonischen Markierungspunkten soll bis 2027 das Museum des 20. Jahrhunderts für eine knappe halbe Milliarde Euro entstehen - die Philharmonie gab es noch für 17 Millionen Mark. (nmz - Die Kaufkraft einer DM aus dem Jahr 1963 entspricht laut Berechnung der Deutschen Bundesbank heute ca. 2,33 Euro)
Mit dem benachbarten Kammermusiksaal sollte die Philharmonie in den 80er Jahren zum Ensemble aus zwei Gebäuden anwachsen, auch hier bildeten Scharouns Pläne die Basis. Die Kostenentwicklung klingt etwas moderner. Der zweite Bau war mit etwa 123 Millionen Mark schon fünfmal teurer als vorgesehen.
Saal mit Musik im Mittelpunkt
Das Herz der Philharmonie ist auch sein Schatz: der große Konzertsaal. Scharoun verzichtete auf eine klassisch rechteckige Grundform mit Bühne am Ende, er wollte die «Musik im Mittelpunkt». Das Orchester ist so umringt von einem Labyrinth aus Zuschauertribünen, auf denen es nicht einen einzigen rechten Winkel zu geben scheint. Durch die zentrale Lage sind es vom Podium bis zu einem Platz in einer der letzten Reihen nur 28 Meter. Der damalige Chefdirigent Herbert von Karajan (1908-1989), der den Bau mit den Philharmonikern und Beethovens Neunter eröffnete, setzte die ungewöhnlichen Pläne gegen Widerstand durch: «Ich kenne keinen bestehenden Konzertsaal, in dem das Sitzproblem so ideal gelöst ist.»
Blickwechsel zwischen Orchester und Publikum
Auf der zentralen Bühne des Saales zwischen den bis zu 2400 Plätzen sitzt regelmäßig auch Dominik Wollenweber. Der Solo-Englischhornist, seit 30 Jahren Mitglied der Philharmoniker, hat nach eigenen Worten viel Zeit zum Zuhören. «Meistens spiele ich erst dann, wenn alle anderen Musiker schweigen», beschreibt er seine Position. Das lässt ihm viel Zeit für Beobachtungen. In der Philharmonie sitze das Orchester nie allzuweit weg vom Publikum. «In anderen Sälen hat man viel eher das Gefühl, abgeschnitten zu sein von denen, für die wir ja eigentlich spielen», schildert der Musiker der dpa. «Es ist sehr angenehm, auch von der Seite und von hinten Aufmerksamkeit zu bekommen.» Die Blicke gehen in beide Richtungen: «So, wie das Publikum mich beobachtet, schaue ich mir auch gerne das Publikum an. Es ist toll, jemanden beim Zuhören beobachten zu können.»
Nur Gutes kann der Musikexperte auch über die ohnehin viel gelobte Akustik berichten. Der Saal klinge «ohne viel Aufwand» gut. «Die leisen Stellen knallen nicht, es gibt immer eine angenehme Klangresonanz.» Auch im Forte werde es nicht zu leicht zu laut. «Große Werke sind also gut zu spielen.» Dieses Thema sei in anderen Sälen viel problematischer.
Positive Erfahrung hat das Orchester auch mit dem Backstage-Bereich. Die Stimmzimmer seien zahlreich, groß und leicht zu erreichen. Und: «Die Idee, die Kantine direkt hinter die Bühne zu platzieren, ist genial.» Wollenweber verweist auf den sozialisierenden Effekt, weil Musiker und Gäste so sehr leicht in Kontakt miteinander kämen.
International gefeierte Namen am Pult
Diese Gäste sind zahlreich: Seit Karajan und bis zum heutigen Chefdirigenten und künstlerischen Leiter Kirill Petrenko gibt es praktisch keinen Namen von internationalem Spitzenniveau, der nicht schon in der Philharmonie ein Orchester dirigierte. Neben den heimischen Philharmonikern wird das Haus auch für zahlreiche Gastspiele genutzt. In der Saisonpause wird stilgerecht aufgemöbelt. Auf diese Weise hat die Philharmonie bis heute nichts von ihrem leicht alternden Charme verloren.
Zur Eröffnung 1963 wurde eine eigens von Boris Blacher (1903-1975) komponierte Fanfare gespielt. Zum Jubiläum wird auch dieses Werk in drei Konzerten unter Zubin Mehta gespielt (19./20./21.10.). Im Saal und den Foyers lässt sich dabei Scharouns vielschichtiger Antrieb beobachten: «Fantasie - in Askese.»