Die Schweizer sind aufgerufen, bis Mitte 2014 einen neuen Text für ihre Nationalhymne, offiziell „Schweizerpsalm“ genannt, zu kreieren. Die Melodie soll nach Möglichkeit jedoch nicht angetastet werden. Die einflussreiche Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG), die die jährliche Bundesfeier auf dem Rütli aus Anlass des Nationalfeiertags am 1. August organisiert, hat jetzt zum Jahresende einen entsprechenden Wettbewerb gestartet. Dem Sieger winkt ein Preisgeld von umgerechnet 10.000 Euro.
„Der Schweizerpsalm ist einfach nicht mehr zeitgemäss“, sagte jetzt SGG - Geschäftsleiter Lukas Niederberger. Der religiös gefärbte Text spreche viele nicht mehr an. „Eine moderne Nationalhymne soll vielmehr die Werte Freiheit, Demokratie, Unabhängigkeit, Frieden und Offenheit betonen. Genau wie es in der Bundesverfassung steht.“ Eine Jury wird die eingehenden Beiträge bewerten. Der Siegerbeitrag soll 2015 auf dem Rütli gesungen werden. Das letzte Wort hat allerdings der Bundesrat, die Regierung der Eidgenossenschaft in Bern.
Der Text ist in der Tat sehr schwülstig, Spötter sprechen von einer Mischung aus Gebet und Wetterbericht:
„Trittst im Morgenrot daher,
Seh' ich dich im Strahlenmeer,
Dich, du Hocherhabener, Herrlicher!
Wenn der Alpenfirn sich rötet,
Betet, freie Schweizer, betet!
Eure fromme Seele ahnt
Gott im hehren Vaterland,
Gott, den Herrn, im hehren Vaterland.“
Es soll jedoch nicht vergessen werden, dass das Lied ursprünglich überhaupt nicht als Hymne gedacht war.
Am Abend des 22. November 1841 dringt aus einem Zimmer des stattlichen Patrizierhauses St. Carl vor den Toren der Kantonshauptstadt Zug ein Chor kräftiger Männerstimmen. Er singt eine getragene Weise. Einer der Sänger, der Oberstleutnant Franz Uttinger, ahnte offensichtlich, dass dies ein über den Tag hinausgreifendes denkwürdiges Ereignis ist. Er notierte, der Psalm sei am Festtag der heiligen Cäcilie, der Patronin der Kirchenmusik, „im 1. Stock in der Stube gegen See und Stadt hin „ zum ersten Mal gesungen worden. Der Komponist war der Zisterziensermönch Alberik Zwyssig (1808-1854), der auch dem Männerchor angehörte. Seit dem Sommer weilte er bei seinem Bruder auf dem Hof St. Carl. In seinem Reisegepäck befand sich ein Gedicht aus der Feder seines Freundes Leonhard Widmer (1808-1868) aus Zürich, der dort als Musikverleger, Journalist und Liederdichter wirkte. Er hatte Zwyssig gebeten, sein eben erst verfasstes patriotische Werk „Trittst im Morgenrot daher“ zu vertonen. Der Mönch wählte eine von ihm komponierte Weise auf den Psalmtext „Diligam te Domine“ (Ich will Dich lieben, Herr), den er 1835 für eine Pfarrinstallations–Feier komponiert hatte. Damals war er Stiftskapellmeister des Klosters Wettingen bei Baden.
Bereits 1843 erschien das neue Vaterlandslied im Festheft der Zürcher Zofinger, die damals die Aufnahme Zürichs in den Schweizer Bund 1351 feierten. Der Zofingerverein ist die älteste schweizerische Studentenverbindung. Im gleichen Jahr hörte es ein breites Publikum während des Eidgenössischen Sängerfests in Zürich. Das Lied löste Begeisterungsstürme aus. Bald gehörte es zum Repertoire aller Männerchöre in der Schweiz, in der Übersetzung auch in den drei anderen Sprachgebieten.
Obwohl damals mehrere Vorstöße unternommen wurden, es zur Nationalhymne zu erklären, stieß das Ansinnen beim Bundesrat auf taube Ohren. Die Schweiz habe bereits eine Hymne mit dem Titel „Rufst du mein Vaterland“, lautete das Argument. Gesungen wurde sie nach der Melodie der englischen. Das führte im Laufe des 20. Jahrhunderts, als die internationalen Kontakte stark zunahmen, zu mitunter komischen Situationen beim Abspielen der melodisch gleichklingenden Nationalhymnen Englands und der Schweiz.
Daher beschloss der Bundesrat 1961, den „Schweizerpsalm“ als provisorische Nationalhymne einzuführen. Am 1. April 1981 wurde aus dem Provisorium die Nationalhymne, die, ähnlich wie die Bayern-Hymne, auch in den Kirchen der beiden Konfessionen gesungen wird.
Im Teilort Bauen der Stadt Seedorf im Kanton Uri, wo der Komponist geboren wurde, steht vor der Kirche eine Büste Zwyssigs.