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K.O. Projekt 16: ... sezier dich nicht Foto: UdK
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Scratching as scratching can – „sezier dich nicht“ im Berliner HAU 1

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In den Vorjahren war die Komische Oper Berlin Hauptveranstalter der engagiert innovativen, jungen Reihe „K. O.- Koproduktionen“. Dieser assoziativ doppeldeutige Titel ist geblieben, aber bei der jüngsten Premiere (welche zur selben Zeit startete, als die Uraufführungs-Premiere der Kinderoper „Des Kaisers neue Kleider“ im Haupthaus an der Behrenstraße noch nicht beendet war) wird statt der Komischen Oper das HAU 1 genannt. Unter dem Titel „sezier dich nicht. Wahnlieder für Seelsinnige von Brahms, Mahler, Berg“, erreichte die bereits sechzehnte Koproduktion mit der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin und der Universität der Künste Berlin im Hebbel-Theater am Halleschen Ufer ihren vorläufigen Tiefpunkt.

Auch der im Wagner-Jahr viel strapazierte „Wahn“ hilft nicht über Längen und insbesondere nicht über eine fehlende Dramaturgie hinweg. Den gefühlt vierstündigen, aber auch mit pausenlosen 130 Minuten zu langen Abend teilen sich drei Regisseurinnen. Sina Schecker lässt für „Der geschlossene Augenblick“ drei Türen auf der Drehbühne kreisen und erinnert damit stark an „Europa 3“, die vorangegangene Produktion desselben Ensembles am selben Ort. Alban Bergs zwei Versionen des Liedes „Schließe mir die Augen beide“ werden collagiert mit Stefan Weihrauchs popigem „Close my eyes“ und einer Version des Bergschen Materials als Terzett für zwei Soprane, Alt und Klavier, sowie einem Kanon und Kinderlied von Daniel Masmanian. In Marthaler-Manier werden Türen geöffnet und wieder geschlossen, und mit Taschenlampen wird das Publikum geblendet. Der einzig spannungsvolle Moment entsteht, als ein Kind – wie „Alice in Wonderland“ – eine Schranktür öffnet, hinter der ihm Figuren als Videoprojektion erscheinen. Sehr bemüht erscheint das Ringen um eine Modernisierung des Klanges, mit lauten Geräuschen von Herz- und Steinschlag, kanonisch repetierten Sch-Lauten der vokalen Interpretinnen sowie elektroakustischem Scratching.

Vergleichsweise gelungen erscheint der von Franziska Guggenbichler Beck inszenierte Mittelteil. In „Erinnerungswalzer“ erzählt eine alte Frau (über Band) ihre Erinnerungen an alte Zeiten. In der Fantasie des auftretenden Knaben sind die Möbel überdimensioniert, wie auch ein leerer Vogelbauer. Die Suche nach dem entflogenen Oscar, durch den alten Onkel mit Fangnetz, bleibt ohne Erfolg, zahllose Papiervögel und Federn fallen zu Boden. Federn kleben auch an den Händen der Protagonisten (Kostüme: Maria Gamsjäger). Dazu werden – bisweilen arg weit hergeholt – fünf Brahms-Lieder gesungen. Dass der vom Berliner Löwenkinderchor in diese Produktion integrierte Knabe besser intoniert als manche seiner angehenden Profikolleginnen an diesem Abend, gibt zu denken.

Zunächst witzig beginnt der dritte Teil, „Kindertotenlieder oder der Engel ist eine Kugel“, mit einem Videofilm von Andrea Kronfoth: Kinder kotzen Wagnersche Todestränke aus und bekriegen sich lieber mit LED-Revolvern – aber offenbar geht eines dieser Spiele in der Regie von Julia Lwowski dann doch tödlich aus. Der Projektionsschleier hebt sich. Zu Gustav Mahlers Klängen, die beim Film als Glockenspiel verfremdet waren, steigt die in weißem Kleid trauernde Mutter selbst aus dem Kindergrab, um – nun zum Klavierklang – weiter zu klagen, eine Engelspuppe aufsteigen zu lassen oder in einer Badewanne von Papierkugeln zu baden. Lose eingestreut in die Abfolge der Kindertotenlieder werden andere Lieder dieses Komponisten, „Des Antonius von Padua Fischpredigt“, „Hans und Grethe“, „Ablösung im Sommer“ und „Frühlingsmorgen“, als Schaubuden-Panoptikum drastisch inszeniert, aber mit keinem erkennbaren Bezug zu den Kindertotenliedern. Positiv im Gedächtnis bleibt die musikalische Interpretation: Nadezda Tseluykina am Klavier und einem zwischen den Instrumenten Klarinette, Tenor- und Bass-Saxophon wechselnden Solisten gelingt es Mahlers Echo auf „die Unverstehbarkeit dieser Welt“ (Programmheft) ohne Verkrampfung klanglich neu zu färben, während die Solistinnen dieses Teiles, mit zwar teilweise mit schönem Material, heillos überfordert waren.

Den sehr schwer anlaufenden Abend hatten mehrere Besucher der dritten Aufführung bereits nach dem ersten Teil, weitere nach dem zweiten Teil verlassen. Jene, die bis zum Ende ausharrten, schienen vorwiegend Angehörige und Freunde der Ausführenden zu sein: es wurde lautstark und heftig applaudiert.

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