Ein Kapitel Lebenslust zum zwanzigsten Geburtstag des Bayerischen Staatsballetts sollte es wohl sein, knapp ein Jahr nach dem Tod von Pina Bausch, was das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch den Münchnern brachte. Immerhin gab es für Münchens Ballett-Fest jetzt dreimal „Masurca Fago“ von 1998, aus einer Zeit mithin, zu der Pina Bausch weit über Wuppertal und NRW hinaus längst Weltberühmtheit erlangt hatte und Bedeutung.
Auf archaisch nackter Bühne, im puristischen schwarz-weiß-Ambiente, schräg zur Rechtwinkeligkeit des Nationaltheater-Bühnengrundrisses gedreht, ereignet sich auf „vulkanisch“ untergründigem Urgrund das Zwischenmenschliche als Grundprogramm der körpersprachlichen Kunst von Pina Bausch samt all ihren Mitstreitern. Grundiert vom ewigen Anziehungs- und Abstoßungsszenario zwischenmenschlich-erotischer (An)Spannung.
Zauberhaft und leicht und entspannt, überirdisch und bodennah, im aus Plastikfolie (mit bunten Plastikeimern aufgefüllten), zum luststeigernden Schwimm- und Planschschlauch umfunktionierten Transparenzbecken; oder im kreisrunden Herumwirbeln der Tänzerin auf dem Stuhl; oder als Abhängigkeit schaffende elterliche Liebesvergewaltigung im pädagogischen Eros. So entsteht Dramatik.
Im üppig Videoprojizierten portugiesischen Territorium erschaffen sich die Bereiche zwischen Liebe und Zurückweisung immer wieder neu, zwischen Anziehung und Umarmung als Seelenlandschaften in Licht und Dunkel von Trauer und (er)wartender Freudenfülle, zwischen Erotik und Sexualität. Das bringen die Tänzerinnen und Tänzer voller gewohnter Professionalität ins Bühnenleben ein, schon das Melancholische von all dem reflektierend. Aber noch ein wenig weniger tangiert von den nagenden und saugenden Anforderungen des Lebens. So wie es spätere Stücke aus dem Bausch-Imperium erzwangen. Wo neben der schwer auszuhaltenden Leichtigkeit die riesige Dimension ihres Gegenteils in jeder Geste eingebunden ist. Wo die große Traurigkeit als Fundament des Denkens und Tanzens immer tiefer eindringt in Seelen und Gehirne.
Doch war es sicher richtig, dieses Programm jetzt anzubieten. Es verzauberte in die Terrains hinein von Eros und Tanzkunst, in gruppen-dynamische Zuverlässigkeiten und erkenntnis-praktische Erlebnisse. So konnte (Tanz)Theater kathartische Prozesse aktivieren. Und das ist ja bekanntlich innerstes Anliegen von aller Bühnenkunst samt ihrer Rampe. Diese seelen-reinigenden Ergebnisse stellen sich wahrlich nicht sehr häufig ein. Doch Pina Bausch und ihren Künstlerinnen und Künstlern gelang solches fast immer. Auch diesmal.