Glückliches Freiburg, das über so viele Ensembles für Neue Musik verfügt wie kaum eine andere Stadt in Deutschland und schon mal gar nicht in Europa. 2010 konnte das international renommierte „Ensemble Recherche“ 25-jähriges Jubiläum feiern, nun winkt diesem Ensemble zusammen mit dem Freiburger Barockorchester ein eigenes Ensemblehaus, das Anfang 2012 fertig sein soll und weitgehend mit Spenden finanziert wurde. Dann gibt es die Ensembles „Aventure“ und „SurPlus“, auch sie weltberühmt, und seit 2004 „Chronophonie“ mit seiner ganz besonderen Art der gesellschaftlichen Reflexion. Diese und viele weitere arbeiten trotz profilierender Schwerpunkte hauptsächlich auf dem interpretatorischen Sektor. Ein ganz anderes Profil strebt die Profectio-Initiative Freiburg an, die jetzt in der Elisabeth-Schneider-Stiftung ihr 20-jähriges Jubiläumskonzert präsentierte.
Profectio – das meint Aufbruch und Abreise, „Aufbruch zu etwas Neuem“. Es ist ein Ensemble zur Aufführung Neuer Kammermusik mit Live-Elektronik und anderen übergreifenden Medien. Was das genau sein könnte oder ist, wird ein bis höchstens zweimal pro Jahr maßgeblich gestaltet von Roland Breitenfeld, der die Initiative zusammen mit dem koreanischen Komponisten Donoung Lee gründete. Breitenfeld hat eine tiefe Verbindung zu Korea, seit 2006 ist er, der auch viele Jahre Mitarbeiter des Experimentalstudios des SWF war, Professor für Komposition und elektronische Musik an der Seoul National University in Seoul in Südkorea.
Und so sind denn auch drei Musikerinnen, die koreanische Instrumente spielen und ansonsten als Korean Music Project unter der Leitung von Sngkn Kim eigene Konzepte machen, die traditionelle koreanische Musik in unterschiedliche zeitgenössische Kontexte stellen, Mitglieder der profectio-Initiative und so wurde das Jubiläumskonzert insgesamt in einen koreanischen Kontext gestellt. Wieder einmal machte das Konzert deutlich, wie wichtig und überzeugend dramaturgisch gute Programme sind. Ergänzt mit fabelhaften Musikern wurde das Konzert zu einem unvergesslichen Leckerbissen mit einer ganz besonderen Qualität:
Allzu häufig erlebt man in Konzerten mit Elektronik deren Einsatz als ästhetisch nicht unbedingt plausibel, als beliebigen Schnickschnack und/oder man fragt sich, was das denn nun soll. Hier hatten alle Stücke einen Einsatz der Elektronik, der inhaltlich Sinn machte. So gleich im ersten Stück des 1952 geborenen Wolfgang Motz, in dessen „Aufzubrechen…ins Offene…“ für Klarinette und Streichtrio die Elektronik der Nachhall des instrumental Gespielten ist: zur Erinnerung, zur Reflexion der aus äußerster Stille kommenden leisen Töne, die das Motto nach einem Text von Hölderlin charakterisieren: „Denn nicht Mächtiges ist unser Singen, aber zum Leben gehört es“. Trotz aller atmosphärisch dichten Eigenständigkeit – sein Lehrer Luigi Nono lässt in dieser Uraufführung auch grüßen.
In Jorge García del Valle Méndez' (geb. 1966) Klaviertrio tritt ein Tonband hinzu, das koreanische Tempelglocken elektronisch verfremdet – eine quasi archaische Naturimpression ist die Folge. Die Tempelglocken bildeten einen wunderschönen Übergang zur Hosanna-Glocke des Freiburger Münsters, die Andreas H.H. Suberg (Jahrgang 1958) in seinem „Delle bombarde“ für Countertenor, Schlagzeug und elektroakustische Klänge verwendet. Die textliche Grundlage sind zwei Prophezeiungen von Leonardo da Vinci, die sich ähnlich sind und Tötung und Zerstörung durch Feuer ankündigen. Eine anhaltende Spannung ergibt sich aus dem archaischen Glockenton mit seiner Funktion als sozialer Zusammenhalt der Gesellschaft und der Countertenor-„Hysterie“ des großartigen Ralph Mangelsdorff.
Im zweiten Teil überzeugten die Ausflüge in die koreanische Musik und die irrisierenden Kombinationen mit der europäischen Kammermusik. So nach einem wunderschön intimen „Sangryungsan“ für die Piri, einer kleinen Holzflöte, die unserem Oboenton sehr ähnlich ist. Deren Ton nimmt die 1988 geborene Komponistin Eun-Hye Yun mit der zarten Uraufführung von „Nachtfahrt“ (2010) nach einem Gedicht von Reiner Kunze auf, indem sie zur Klarinette Mezzosopran und Cello in feinem Suchcharakter klingen lässt.
Der Auftritt des sechzehnjährigen Klarinettisten Han Kim war nichts Geringeres als eine Sensation: Im meditativen – etwas zu langen – „Song in the Dusk 1“ von Geon-Yong Lee zeigte er atemberaubend alles, was eine Klarinette bieten kann. Roland Breitenfelds „Yasmintee“ – die dritte Uraufführung dieses Konzertes – bezieht das traditionelle koreanische Zupfinstrument Gayageum (Yoon-Jin Choi) ein und überzeugt durch eine enorme Feinheit der elekronischen Verfremdungen. Karlheinz Stockhausens „In Freundschaft“ für Klarinette solo und „Piri“ mit elektronischen Prozessen von Donoung Lee (geboren 1955) fielen ab: verspielt-beliebig das erste, unterhaltsam bis kitschig das zweite.
Trotzdem: ein aufregendes und lange nachhaltiges Konzert mit glänzenden Interpreten wie die ihr Instrument am Körper tragende Percussionistin Sori Choi, Olaf Tzschoppe (Schlaginstrumente), und Maria Stang (Violine). Der gute Besuch des Konzertes zeigte einmal mehr das „Klima“ für zeitgenössische Musik, das in Freiburg zu herrscht.