Ein weltweit einzigartiges Festival feierte vom 5. bis 15. Juni 2000 seinen 25. Geburtstag: „June in Buffalo“, ein Seminar für den Komponistennachwuchs an der Musikabteilung der State University of New York at Buffalo, war 1975 von Morton Feldman initiiert worden. Ihm ging es vorrangig darum, jungen, noch studierenden Komponis-ten die geistige Auseinandersetzung und Konfrontation mit eminenten Kollegen zu bieten.
Feldmans Grundsatz hielt der hier tätige Kompositionsprofessor David Felder die Treue, als er 1985 die künstlerische Direktion von „June in Buffalo“ übernahm. Er scheute nicht zurück, den einheimischen Nachwuchs selbst mit solch ext-remen Persönlichkeiten wie Gerhard Stäbler, Vinko Globokar oder Kevin Volans aus seiner häufig introvertierten Campusmentalität wachzurütteln.
Die morgendlichen zweistündigen Referate der jeweiligen Gastdozenten zu ihrer Arbeit und Denkweise dienen gleichzeitig einem intensiven Dialog mit den Studenten. Den Nachmittag über folgen dichtgedrängte Meisterklassen; sie bieten einem kleinen Kreis von Schülern die Möglichkeit, ein jüngstes Werk auf Tape oder CD der Kritik des Meisters auszusetzen, wobei zusätzlich auch die übrigen Anwesenden aufgefordert sind, Fragen zu stellen und ihre Meinung zu äußern.
22 angehende Komponisten erlebten während des Jubiläums die hochkarätige Aufführung eines eigenen kammermusikalischen Werkes. Dabei war von einer individuellen, zukunftsorientierten Sprache vorerst nur selten die Rede; vielmehr sah man sich in der Regel der Lösung technischer Probleme und gelegentlich auch einer wenig gesunden Portion Arroganz ausgeliefert. Zu den vielversprechenden Ausnahmen zählten Adrienne Elisha („Inner Voices“ für Bratsche), Jonathan McNair („Galapagos Lions“ für Fagott), Moiya Callahan („Sequence“ für Klavier) und Brooke Joyce („Piano Music“, 3. Satz, für Klavier); sie alle hatten auch in den Meisterklassen mit einer bereits erstaunlich geformten, eigenen und vielversprechenden Stimme auf sich aufmerksam gemacht.
In diesem Jahr lag es Felder vorrangig daran, mit einer Fakultät aufzuwarten, die nicht nur „June in Buffalo“ über die Jahre geprägt hatte, sondern die zugleich die ganze Bandbreite progressiver moderner Musik in den USA widerspiegelte. Eine unerwartet entspannte, kollegiale Atmosphäre vereinte George Crumb, Lukas Foss und Donald Erb, Charles Wuorinen, Bernard Rands, Nils Vigeland und David Felder, Roger Reynolds und Harvey Sollberger, Steve Reich und Philip Glass, sowie die vitale und dem Or-chester verschriebene, gerade 36-jährige Augusta Read Thomas und mit Joji Yuasa (71) den gegenwärtig bedeutendsten japanischen Komponisten. Felders Bemühen, dem Nachwuchs die Vielfalt musikalischer Erfahrungen an Hand selten aufgeführter Werke zu ermöglichen, führte immer wieder zu begeisternden Höhepunkten. Als Auftakt beeindruckte David Felder mit der Uraufführung des gleichermaßen dem Solisten Daniel Druckman (Schlagwerk) und der Erinnerung an Feldman gewidmeten Konzerts „In Between“ (1999); zukunftsorientierte, visionäre Substanz und explosive Kraft, wie sie vor 100 Jahren einen Gustav Mahler oder Charles Ives auszeichneten, bewiesen, dass Felder zu den wenigen Komponisten unserer Zeit gehört, die, ohne zurückzublicken, auf der Basis von Vergangenheit und Gegenwart ein neues Jahrhundert vorbereiten. Er verstand es, mit dem wesentlich erweiterten „June in Buffalo Chamber Orchestra“ Musiker um sich zu scharen, die ohne Blick auf die Uhr neuen Intentionen folgen. Ob Morton Feldmans „The Viola in My Life IV“ (1971), eine zarte, ja beinahe romantische Liebeserklärung (mit Jesse Levine) oder dessen „Crippled Symmetry“ (1984) mit den Solisten der Uraufführung Eberhard Blum (Flöten), Nils Vigeland (Klavier/Celesta) und Jan Williams (Schlagwerk), ob die das Unendliche berührenden Klangvisionen „Makrokosmos III“ (1974) und „Images I“ (1970) von Crumb – all dies bleiben letztlich nur Beispiele einer faszinierenden Vieldimensionalität.
Leider war es kaum möglich, sich ein klares Bild von Augusta Read Thomas zu machen, griff sie in ihrem Referat doch lediglich auf interessante Ausschnitte zurück. Hingegen animierte die Aufführung ihres Funken sprühenden Violinkonzerts „Spirit Musings“ (1996). Sahen sich bis auf den Eröffnungsabend die Konzerte aus finanziellen Gründen einem variierbaren Kammerensemble (das New York New Music Ensemble, die Slee Sinfonietta und das June in Buffalo Chamber Orchestra) angepasst, so boten die Referate den Komponisten die Möglichkeit, auch Orchesterwerke vorzustellen. Unvergesslich bleiben die Symphonie von Bernard Rands, Donald Erbs „The 7th Trumpet“ (die Bewältigung des von ihm miterlebten Atomterrors über Hiroshima) und George Crumbs universales symphonisches Weltbild „Star-Child“.
Philip Glass und Steve Reich war jeweils ein Abend gewidmet, wobei Glass vorrangig mit dem Concerto for Saxophones in der komprimiertern Version für ein Saxophonquartett (1985) und Reich mit Sextet (1984), sowie mit „City Life“ (1995) unter Bradley Lubman für Furore sorgten. In seinem abschließenden Resümee zitierte David Felder seinen Kollegen Charles Wuorinen: „Es gibt sicherlich viel zu lernen, doch gibt es nach der Schulzeit auch Vieles, das man schnell wieder verlernen sollte.“ Weiter wies er die Studenten eindringlich darauf hin, dass der Prozess des Komponierens letztlich ein Prozess der Selbstverwandlung und des Bewusstwerdens sei und sie sich im Klaren sein müssen, dass sie nicht das sind, was sie von sich denken. Technik und Handwerkszeug seien nur der Anfang.