Sind junge Menschen in der heutigen Zeit noch willens, sich für gesellschaftliche Aufgaben zu engagieren? „Ja“, sagen die Autorinnen des folgenden Textes, 23 und 24 Jahre alt. Anlass für ihre Überlegungen war das „mu:v-Camp“ der Jeunesses Musicales, das aus dem Engagement junger Menschen heraus entstanden ist. Sophie Wasserscheid und Mechthild Schlumberger waren Teilnehmerinnen eines Musikjournalismus-Seminars, das die nmz begleitend zum Camp in Weikersheim anbot. Mehr Berichte und Artikel aus den Federn der Seminar-Teilnehmerinnen finden sich auf S. 27.
Der ewige Vorwurf an die heutige „Web 2.0-Generation“, sie sei egozentrisch, politikverdrossen und entidealisiert, präsentiert sich derzeit als Dauerlangspielplatte im gesellschaftlichen Tenor. Verbandsvertreter stehen vor massiven Nachwuchsproblemen, während Politiker händeringend nach jungen Bewerbern für Parteiämter suchen. Sofern man unsere Altersgruppe verstehen und mehr in politische und gesellschaftliche Prozesse einbinden will, lohnt sich ein genauerer Blick auf die gegenwärtige gesellschaftliche Situation.
Zunehmend verlieren Jugendliche ihr Vertrauen in traditionelle Autoritäten. Die politische Welt geht im selbstinszenierten Medienkampf unter, während sie ihre Hörerschaft an das Nirvana des Meinungspluralismus verliert. Ganztagsschule und Bachelor/Master-System lassen den Jugendlichen immer weniger zeitlichen und geistigen Spielraum. Das Schreckgespenst der globalen Konkurrenz im Nacken hasten wir, links und rechts die nötigen Credits sammelnd, durch unseren gestylten Lebenslauf. Vielleicht fehlt da zum Idealismus dann einfach das nötige Quäntchen Naivität.
Man kann dieser Generation vorhalten, politikdistanziert und konformistisch zu sein; gesellschaftlich unengagiert ist sie allerdings nicht. Ganz im Gegenteil: Jeder Dritte ist laut Shell-Jugend-Studie „oft“ für soziale oder gesellschaftliche Zwecke aktiv. Die Partizipation findet allerdings weniger im Politischen als vielmehr in der Gestaltung des individuellen Lebensraums statt. Folgt also auf die gesellschaftliche Überforderung der biedermeierliche Rückzug ins Private? Hoch im Kurs stehen jedenfalls Bereiche der Freizeitgestaltung, bei denen sich das Engagement mit eigenen Vorlieben verknüpfen lässt und sich Spaßfaktor und der Wille, sich persönlich einzubringen, die Hand reichen. Dort liegen die großen Chancen des Kulturbereichs und zugleich die Verantwortung, neue Formen der jugendlichen Mitgestaltung zu schaffen. Wie kann diese aussehen? Was müssen Kulturverbände tun, um für junge Leute attraktiv zu sein, wo sie doch als zu verkrustet in ihren Strukturen, als zu unflexibel und bürokratisch dröge gelten?
Die Jeunesses Musicales Deutschland, der Verband deutscher Jugendorchester, hat sich zum Ziel gesetzt, „jungen Menschen eine Plattform zu bieten, wo sie ihre Ideen verwirklichen können“, so Generalsekretär Ulrich Wüster. „Es liegt in einem übergeordneten Interesse unserer Organisation, die jungen Leute mehr herauszufordern und zum Zuge kommen zu lassen, als das vielleicht in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren der Fall gewesen ist“, reflektiert er selbstkritisch. Eine junge Initiative mit dem Leitsatz „mu:v – Musik verbindet“ ist das Ergebnis dieser Bemühungen. Im Namen der Jeunesses Musicales konzipierten und organisierten die Jugendlichen in Eigenverantwortung ein viertägiges Musik-Camp.
„Man muss Jugendliche in dem Gefühl stärken, dass sie etwas bewegen können und dass ihre Meinung gefragt ist. Es geht ihnen darum, Dinge zu verändern und nicht darum, vorgefertigte Sachen zu übernehmen und in den Strukturen der Erwachsenen aufzugehen“, stellt Kerstin Hübner von der Bundesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V. fest und bestätigt damit, wie wichtig es ist, Jugendlichen echte Gestaltungsfreiräume zu geben.
„Es gibt einem ein gutes Gefühl, dass man Ideen, die man selber geschaffen hat, realisieren kann. Das ist eine große Motivation für die Zukunft: Es lohnt sich, an sich selbst zu glauben!“, sagt Julia Sinnhöfer, Studentin und Mitorganisatorin des mu:v- Camps.
Nötig ist ein „update“ der Verbände, um die Web 2.0-Generation dort abzuholen, wo sie ist. Das Internet sollte nicht nur als hedonistischer Zeitvertreib und Konkurrenz gesehen, sondern als Kommunikationsplattform und demokratische Möglichkeit der Mitwirkung genutzt werden. Verbände können darauf hoffen, die junge Generation durch eine flexiblere Einbeziehung zum Beispiel in Form von Projekten zu begeistern. Schließlich profitieren davon beide Seiten: Junge Mitgestalter verjüngen die Verbände und wirken darüber hinaus als Multiplikatoren für Gleichaltrige. Diesen wird im Gegenzug ein Ort der Selbstverwirklichung abseits von Modulen und Alltagsstress geboten. Es ist dabei durchaus legitim, die gewonnenen Erfahrungen und Kompetenzen zur Aufpolierung des eigenen Lebenslaufs zu nutzen. So weiß auch Nils Matthiesen, ein weiterer Mitorganisator des mu:v-Camps: „Ich kann Fachkompetenz erwerben und allgemein viel Erfahrung sammeln. Die Nachweise kann ich dann für meinen beruflichen Werdegang verwerten.“ Erweiterung des Horizonts und der eigenen Kompetenzen, Aufbau eines sozialen Netzwerks, im Idealfall sogar Sprungbrett für die berufliche Tätigkeit – das alles kann Partizipation für die aktiven Jugendlichen sein.
Letztlich hat das Engagement Jugendlicher großen Nutzen für ein breiteres gesellschaftliches Umfeld. Schulen, Unis, Verbände, Arbeitgeber und das soziale Klima profitieren von engagierten jungen Menschen, die Farbe bekennen und sich nicht im Dschungel der vielfältigen Möglichkeiten verlieren. Indem sie sich für eine kulturelle Sache stark machen und für ihre Überzeugungen eintreten, werden sie nicht nur für übergeordnete gesellschaftliche Fragestellungen sensibilisiert, sondern sind nicht zuletzt in hohem Maß politisch aktive Teilhaber.
Mechthild Schlumberger und Sophie Wasserscheid, Teilnehmerinnen am Journalismus-Seminar der nmz beim mu:v-Camp