Hauptbild
Titelseite der nmz 7/2012.
Titelseite der nmz 7/2012.
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Sing-Sang

Untertitel
Barbara Haack über das Chorfest in Frankfurt
Publikationsdatum
Body

Alles singt – und alle singen. Frankfurt mutierte während des Deutschen Chorfestes von der Börsen- zur Gesangsmetropole. Allerorts konnte man sich „ruhig niederlassen“ – gemäß dem bekannten Spruch von den bösen Menschen, die eben keine Lieder haben: auf diversen Innenstadt-Plätzen, wo die teilnehmenden Chöre Spontankonzerte gaben, in der Kneipe, wo am Nebentisch der Männerchor ein fröhliches Trinklied zum ersten Bier des Tages sang – und natürlich in den vielen Veranstaltungsräumen, die Austragungsorte für Wettbewerbe wie Konzerte waren.

Sänger, insbesondere Chorsänger, singen immer und überall; das ist ein altes Phänomen. Die Freude über die ständige Singbereitschaft findet ihre Grenzen, wenn der Publikumsnachbar im Wertungssingen oder Konzert fröhlich mitträllert, obwohl der Gesang eigentlich auf der Bühne stattfinden soll. Insbesondere, wenn dies im großen Festkonzert in der Jahrhunderthalle passiert, in der drei junge Chöre aus Thüringen gemeinsam einen historisch-musikalischen Parforceritt durch 150 Jahre deutsche Chorgeschichte versuchten. Dieser gipfelte in gleich drei – dem in der Westzone sozialisierten Konzertbesucher nicht unbedingt präsenten – DDR-Schnulzen, die dem Konzertnachbarn aber Erinnerungs-Tränchen in die Augen trieben und den Schalter zum „Mitsingen“ in Gang setzten. War solche Sentimentalität Sinn der Veranstaltung? Oder wollte man zeigen, dass die Suche nach qualitativer zeitgenössischer deutscher Chorliteratur seit 1945 ohne Ergebnis geblieben war? Als Ersatz für angeblich nicht Vorhandenes musste nicht nur die leichte Ost-Muse, sondern auch der amerikanische Gospel herhalten. Welchen Teil der deutschen Chorgeschichte sollte dies wohl abdecken? Schade: dem deutschen Chorverband war mit seinem Frankfurter Chorfest vier Tage lang der Beweis gelungen, dass ein Laienchor nicht gleichzusetzen ist mit Verzicht auf Qualität. Ausgerechnet das Festkonzert hat dies nun widerlegt. Oder sollte gar der Eindruck erweckt werden, dass beim Chorsingen eben doch gut gemeint mehr zählt als gut gemacht? 

Bundespräsident Joachim Gauck, der sich als Freund des Singens outete, war leider ausgerechnet Gast dieser vermutlich einzigen Veranstaltung des Deutschen Chorfestes, die dem Blick zurück diente, misslang und von der sonst überall spürbaren Aufbruchsstimmung so wenig vermittelte. Bleibt zu hoffen, dass der Bundespräsident dies so einordnen konnte, wie es zu verstehen war: als Versuch derjenigen, die einer überholten Tradition nachtrauern, im Heute anzukommen. Wenn diese „old-schooler“ in Frankfurt vier Tage lang Augen und Ohren offen gehalten haben, sollte ihnen das zukünftig durchaus gelingen. Selbst die Männerchöre, im allgemeinen Volksempfinden Urbild eines nicht mehr zeitgemäßen Sangeskults, zeigten in Frankfurt mit ihrer „reinen Männersache“, dass es eben auch anders geht. Mag sein, dass auch in einem Deutschen Chorverband, der sich derzeit neu erfindet, Kräfte walten, die dem Tempo der Veränderung nicht folgen können oder wollen. Dem Ziel, die Freude am Singen und Zuhören in eine breite Gesellschaft zu tragen, wäre eine solche Spaltung sicher nicht zuträglich. Ansonsten aber ist man diesem Ziel in Frankfurt einen großen Schritt näher gekommen. 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!