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Lars Woldt als Falstaff in Alfred Kirchners Wiener Otto-Nicolai-Inszenierung. Foto: Dimo Dimov/Volksoper Wien
Lars Woldt als Falstaff in Alfred Kirchners Wiener Otto-Nicolai-Inszenierung. Foto: Dimo Dimov/Volksoper Wien
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Sir John mit dem hilfreichen Häschen: Otto Nicolais „Lustige Weiber von Windsor“ an der Volksoper Wien

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Sir John bekam an der Wiener Volksoper ein Hasenwesen zugesellt. Es dient Falstaff bereits während der Ouverture als hilfreicher Geist. Als Briefträger des abgehalfterten Schwerenöters ermöglicht der putzige Adjutant die dreiste Annäherung an Frau Fluth und Frau Reich, wie die beiden Gattinnen der ehrbaren Bürger von Windsor in der teils freizügigen Textbearbeitung von Regisseur Alfred Kirchner & Co. heißen. Das Faktotum ist vom Anfang an dabei. Falstaff mutierte in Kirchners Lesart zu einem letzten Ritter der späten 1960er-Jahre und ist mit einem zum Wohnmobil umgerüsteten VW-Bus unterwegs. Er stellt dem Häschen eine alte Schreibmaschine in den Weg. Auf ihr tippt es die beiden gleichlautenden Briefe – den an die familienpolitisch stark engagierte Frau Reich und den an die vom Ehemann übermäßig beargwöhnte Nachbarin Fluth.

Über denkbare tiefere Bedeutungsebenen des Werks schweigt des Hasen Höflichkeit. Er bleibt stumm, kann sich nur durchs Wackeln der Ohren oder das Trommeln mit den Pfoten artikulieren. Und zeigt am Ende seinen wahren Kern: ein Ballettmädchen steigt aus dem Fell und geht mit dem übers späte Glück hocherfreuten Falstaff ab durch die Mitte. Ob die Geschichte mit diesem alten Knacker für die junge Frau, die seine Enkelin sein könnte, erfreulich oder hart an der Grenze zum Verstoß gegen Jugendschutzgesetze ist, wollen wir hier nicht erörtern.

„Die lustigen Weiber von Windsor“ von Otto Nikolai (1810–1849) gehen wie Giuseppe Verdis „Falstaff“ auf die ums Jahr 1600 entstandene „Most Pleasant and Excellent Conceited Comedy of Sir John Falstaff and the Merry Wives of Windsor“ von William Shakespeare zurück und gehörten einst zu den viel gespielten Werken des Repertoires: melodienselig, heiter und von Herzen unproblematisch. Doch wie Albert Lortzings (etwas früher entstandene) Komische Opern „Zar und Zimmermann“ oder „Der Waffenschmied“ ist auch dieses verspätet biedermeierlich getönte Bühnenstück von 1849 so gut wie ganz aus der Mode gekommen. Obwohl die Komisch-phantastische Oper so unsterbliche bzw. unsägliche Hits wie den vom Knäblein klein an der Mutterbrust enthält.

Als die deutsche Revolution von 1848 zum Erliegen gekommen war, die preußischen Truppen nur noch in Sachsen die Barrikaden beseitigen, in Baden die Republik gewaltsam niederwerfen mußten, um die restaurative Ordnung wiederherzustellen, erfreute man das Opernpublikum im königlichen Opernhaus zu Berlin mit der musikalischen Komödie von den bedingt lustigen Weibern und dem altersnotgeilen Ritter. So wohnte diesem Werk von Anfang an ein Moment des staatlich geförderten Quietismus bei (etwas, von dem sich Kunst in der Regel nie mehr erholt).

Alfred Kirchner präsentiert den in der Tradition der Opéra comique und zugleich des biederen deutschen Singspiels stehenden Nachzügler der biedermeierlichen „Phantastik“ als heiteres Schmankerl (rechtzeitig zu Silvester) – ohne historisch-kritische Bezüge. Die Falstaff-Geschichte wurde diffus in verschiedene Ecken des 20. Jahrhunderts verschoben. Ein „phantastisches“ Waldbild wartet, zunächst nur schemenhaft erkennbar, im Hintergrund der Bühne (Wunsiedel Nordhang). Eine einzelne schlanke Fichte mit schneebedeckten Zweigen steht als ruhiger Pol im Mittelpunkt des teilweise recht ausgelassenen Treibens, in dem sich der Chor der Gartenzwerge beim Kampftrinken mit großen Emaille-Kannen profiliert. Herr Fluth verkleidet sich als Sebastian Bach, kommt mit einem schwarzen Flügel herein, auf dem er sich auch selbst unter (neu hinzugefügten) Anspielungen auf den alten Meisters selbst begleitet. Dieser Auftritt gelingt Morten Frank Larsen wirklich allerliebst.

Die Bürgerwelt ließ der Ausstatter Christian Floeren in Gestalt von zwei etwas zu klein geratenen Vorstadtvillen hereinfahren. In und hinter ihnen findet das Versteckspiel statt. Um das junge Fräulein Reich, die in jungfräuliches Weiß gekleidete Sopranistin Alexandra Klose, bewerben sich der honorige Junker Spärlich und ein klischeehaft eitler Franzose (beide natürlich ohne Schimmer einer Chance). Das Rennen im nächtlichen Verwirrspiel, das in einem Fliegen-Ballett aus dem Geiste Offenbachs kulminiert, macht der fesche Pilot, dessen Doppeldecker schon am Anfang am Bühnenportal hängt – in den alten Reichsfarben schwarz-weiß-rot.

Die Sänger-Leistungen von Falstaff, dem soliden Baß Lars Woldt mit dem kürbusrunden Bauch an aufwärts, waren insgesamt gediegen. Jennifer O’Loughlin verfügt als Frau Fluth über eine deftige Höhenlage und wurde vom Regisseur nicht daran gehindert, als Betriebsnudel permanent das Bild beleben zu wollen. So rundete sich eine Inszenierung, die Lebensformen 68er einfließen läßt, aber merkwürdigerweise den von Film und Fernsehen entwickelten Humor außer acht lässt. Alles in allem: Liebesgrüße aus einer angeblich guten alten Zeit, die längst vergangen ist und die Herzen eines gealterten Publikums höher schlagen lässt.

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