Doppelte Uraufführungen, halten besser. Was beim Musikfest Berlin richtig ist, kann am Folgetag bei der Ruhrtriennale in Bochum nicht verkehrt sein. Optimale Publicity für alle Beteiligten. Zunächst für Auftraggeber Mahler Chamber Orchestra – trotz eines zumal in den Violinen wie mit Sandpapier auf den Griffbrettern absolvierten Spiels. Merklich litten Ives’ Orchestersuite und seine 2. Symphonie gerade unter diesem Defizit. Optimale Publicity gab es des Weiteren, dank der für Berlin wie für Bochum gleichermaßen notierten Uraufführungen, für die großen Publikumsmagneten Kent Nagano am Pult sowie fürs Star-Interpreten-Duo Chen Reiss/Thomas Hampson.
Was Glanz an diesem Abend war, ging aufs Konto der Letzteren. Insofern hatte sich der Weg insbesondere für die vielen Hampson-Fans gelohnt. Bliebe die Frage nach dem künstlerischen Mehrwert? Keine Frage zunächst, dass jene „114 Songs“, die Charles Ives 1922 auf seine „Wäscheleine“ gehängt hatte, einen insgesamt noch viel zu wenig gehobenen Fundus darstellen. Dass John Adams vor etlicher Zeit fünf Lieder aus dem Songbook des lange verkannten amerikanischen Meisters orchestriert hatte, war für die begrüßenswerte Auftragsvergabe durch Mahler Chamber so etwas wie eine Initialzündung. Jetzt sind es schon fünfzehn Lieder, die ein Orchester ins Repertoire aufnehmen kann.
Sicher, hörbar war andererseits auch, dass Adams insgesamt doch näher dran war und ist – an der Spiritualität Neu-Englands, an der kirchlichen Lebenswelt wie an den Misch-Klängen von Theater, Straße, Elternhaus mit ihren Liedern, Hymnen, Traditionals, Märschen. Nicht zu vergessen jener Inspirationen, die der Connecticutter Ives aus Stadt, Land, Fluss gezogen hat.
Ein gebürtiger Österreicher und ein Japaner haben es da schon schwerer. Georg Friedrich Haas griff deshalb zum Naheliegensten, orientierte sich einerseits am dramatisch-opernmäßigen Gestus mit Britten- und mit Anklängen an die Konzertarie – für Hampson die schwerste Aufgabe an diesem Abend. Hingegen in den Liedern, die er der schlanken Sopranstimme von Chen Reiss zugedacht hatte, nahm Haas Maß am Liedhaften, was vielleicht ein wenig klischeehaft schien in dieser Aufteilung. Und doch reichte Haas noch am ehesten an das gedachte Niveau dieser vernachlässigten, gemiedenen Gattung heran. Dass das Orchesterlied mit dieser (Nicht)Rezeption zu kämpfen hat, bewegte möglicherweise auch Toshio Hosokawa zu einer Zurückhaltung, die den mit seiner Musik Vertrauten nicht wenig irritierte. Das war alles sehr kurz und sehr einfach, berührte und bediente im Song „Memories“ sogar das Parodistische eines Opernbesuchs. Alle sitzen und warten, dass was passiert. Man kennt sie, diese Mischung aus „exstacy“ und „expectancy“.
In der Bochumer Jahrhunderthalle wurde sie an diesem Abend nicht (ganz) erfüllt. Was auch an der ungelösten, problematischen Akustik dieser eisernen Riesenkathedrale liegt. Das Orchester wie abgeschnitten, wie unter einer Glocke, die alles wegsaugt. Die Idee, die einmal so viel Begeisterung hervorgerufen hat – mit großer alter und großer neuer Kunst aus den Konzerthäusern auszuziehen und in dafür nicht konzipierte Räume einzuziehen, diese Idee scheint allmählich ihre Faszinationskraft einzubüßen. Irgendwann, so scheint es, wird man an der Frage, worum es eigentlich geht, nicht mehr vorbeikommen. Um einen spezifisch nordrheinwestfälisch-reviermäßigen, von der Ruhrtriennale tatsächlich weidlich bedienten neuen Theater-Flair? Und wie dies zusammenpasst mit den Erfordernissen der Kunst? Hier mit der Aufgabe, einen Raum zu kreieren, der die Intimität von Orchesterliedern eines Georg Friedrich Haas, eines Toshio Hosokawa nicht verletzt und diese zugleich noch in die letzte Reihe transportiert. Daran wird man eine Jahrhunderthalle und das Konzept, das sie verkörpert, messen müssen.