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Die Akte Beethoven. Spielszene 3. Foto: arte/WDR
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So macht man das! – Komponisten im Fernsehen: WDR und arte studieren „Die Akte Beethoven“

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Nimmt sich das Fernsehen unsere Komponisten vor, ist die Erwartung groß. Siehe das jüngste Rote-Teppich-Preview im Kammermusiksaal des Bonner Beethovenhauses. Ausverkauft! Leicht vergisst der Musikfreund dabei, dass hinterher vor allem Fernsehen herauskommen muss.

Wie jetzt, da arte und WDR im Rahmen ihrer „Akte“-Serie (Kleist, Wagner, Pasolini, Zarah Leander) auf den Bonner Großmeister verfallen sind. Auf seine Krankheit vor allem. Gut nur, dass der Mann auch Musik geschrieben hat! So gibt es reichlich zu kollagieren, zu illustrieren. Ein verführerisches Angebot, dem das „Akte B.“-Regieteam hoffnungslos erliegt. Nicht sei indes verschwiegen, dass Hedwig Schmutte und Ralf Pleger ihre beste Bilderfindung gleich mit der ersten Einstellung liefern. Da ist Lars Edinger im grünen Seidenhemd, weißem Halstuch, historischem Sakko. Auf dem Mittelstreifen einer beleuchteten Stadtauto­bahn lassen ihn Schmutte/Pleger zu nachtschlafener Zeit rennen, was die Musikerbeine hergeben. Hinter ihm Pheline Roggan, ganz in weiß. „Warten Sie doch! Hören Sie mich nicht?“ – Nein, tut er nicht. Beethoven ist gerade dabei, taub zu werden.

Es sind die Augen,

die den erschütternden Moment verraten als er seinen Defekt und damit sein Schicksal entdeckt. Im Film der Moment, da ihm die Angebetete Josephine von Brunsvik Mitteilung macht. Der Mund bewegt sich. Nur, was sagt sie mir? – Das ist, sagt das Bild, als ob die Welt in einem Aquarium versinkt. Ein Künstler auf dem Weg in die Gehörlosigkeit. Der Anfang der Tragik dieses Künstlerlebens, fokussiert in einer berührenden Einstellung. Es bleibt die größte Tat dieses von WDR und arte koproduzierten 44’-Fernsehfilms.

Nicht viel später verliert die „Akte Beethoven“ den Faden, tändelt unentschieden zwischen Theatralischem und Dokumentarischen, wird redundant, tischt veraltete Forschungspositionen auf, widerspricht sich selbst und richtet sich schließlich ein im Fernseh-Mittelformat. Wie ist das möglich? –

Eine Frage, die im Vorfeld der Roten-Teppich-Premiere auch Beethovenhaus-Chef Malte Boecker stellt. In diesem Fall bezogen auf den Hauptdarsteller Ludwig van B., der „bereits mit 31 Jahren praktisch taub, die meisten seiner bahnbrechenden Werke erst später komponierte. Wie ist das möglich?“ – Ja, das möchte man gern wissen. Eine Frage, die der nachfolgende Film jedenfalls nicht beantwortet. Andererseits ist das Aufgebot, das Schmutte/Pleger treiben, ausgesprochen ambitioniert. Es treten auf: Ein HNO-Professor aus Tübingen, eine Mitarbeiterin des Beethoven­hauses, dazu drei Musiker: Pianist Lars Vogt, die Dirigentin Simone Young sowie der Dirigent und Beethoven-Biograph Jan Caeyers. Als es dann aber

zum Schwur kommt –

Antwort zu geben auf das selbst in die Debatte geworfene „Rätsel“ eines genialen, aber gehörlosen Komponisten – werden die Dinge nebulös. Zwar werden, höchst fernsehgerecht, die hieroglyphischen Skizzen des Komponisten in die Kamera gehalten – auf die Idee eines die Taubheit kompensierenden optischen Zugangs zum Medium komponierte Musik kommen die Fragesteller hinter der Kamera allerdings nicht. Und, wie hat der Komponist in seiner zweiten, seiner wichtigsten Lebenshälfte gearbeitet? Unerwähnt bleibt, dass Beethoven sich einen Spezialflügel hat bauen lassen, ein in den Bünden 4-saitig-bespanntes Instrument mit einem offenen Blechkasten als Schallfänger. Stattdessen darf der Tübinger Medizin-Professor die überholte Stäbchenlegende präsentieren, wonach irgendwelche Verbindungen vom Instrument zum Mund des Komponisten liefen, so dass vorgeblich Informationen über dynamische Verläufe möglich gewesen sein sollen. Und schließlich, zur Uraufführung der Neunten tritt Beethoven in der WDR und arte-„Akte“ allein ans Pult. Was nicht stimmt, er hatte Co-Dirigenten.

Ungereimtheiten eines Films,

der glaubt mit seiner überbordenden akustischen Kulinarik aus dem Schneider zu sein. „So macht man das halt!“ Im after talk ist es Regisseur Ralf Pleger, der genau dies als heiligstes Menschenrecht aller Fernsehmacher einfordert. Dass er mit seiner „Akte“ eigentlich das Leben eines taubstummen Komponisten nachzeichnen wollte, ist dann erfolgreich verdrängt. Filmkunst und Fernsehen? Geht nicht. Auch hier nicht. Es ist schon mehr als bezeichnend, wenn Hedwig Schmutte bekennt, „Beethoven“ vor Drehbeginn „nur als den Mann auf dem Denkmal“ gekannt zu haben. Womit auf den Punkt gebracht wäre, woran solche Produktionen kranken. Genausowenig nämlich wie Fußballfilme, gedreht von Fußballignoranten, sach­dien­lich, geschweige denn hebend und erhebend werden können, ebensowenig können sich Musikfilme vom Boden heben, wenn sie vor der Aufgabe kapitulieren, die ein Thema wie dieses unweigerlich stellt: Nähe, Sachlichkeit, Tiefe.

Wenn das erweiterte Regieteam am Ende im Kreisrund des Beethovenhaus-Kammermusiksaals herumsteht, viele müde Worte macht und sich wechselseitig auf die Schultern klopft, wird man denn auch den Verdacht nicht los, dass niemand darunter ist, der in seinem Leben auch nur eine einzige folgenreiche „Beethoven“-Erfahrung gemacht hat, sei als Ausführender, sei es als Hörer. Nur so ist es wohl auch zu erklären, dass der Film geradezu sträflich versäumt, die beteiligten Musiker bei der Ausführung ihrer Arbeit zu zeigen. Da kann Lars Vogt noch so bewegend von der „genialen Erfindung“ des Vierten Klavierkonzerts sprechen – Schmutte/Pleger können sich partout nicht aufraffen, uns mit ihm und seinem Orchester bei der Probe zusammenzuführen. Nicht anders im Fall der Dirigenten Young und Caeyers. Hauptsache, so das TV-Credo, der Heros wird zeitgemäß auf Autobahnen und in Aufzügen gefilmt. Weswegen man am Ende schon fast ein wenig wie Neid empfinden konnte für den tauben Musiker, der mit solcherart zeitraubender Kulissenschieberei jedenfalls nichts am Hut hatte. Definitiv nicht.

Erstausstrahlung auf arte, Mittwoch 30.10.2013, 21:50 

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