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Piotr Beczala (Rodolfo) und Anna Netrebko (Mimi) in der Salzburger „Bohème“. Foto: Silvia Lelli
Piotr Beczala (Rodolfo) und Anna Netrebko (Mimi) in der Salzburger „Bohème“. Foto: Silvia Lelli
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Sommerliche und winterliche Glücksgefühle: Erstmals Puccinis „La Bohème“ bei den Salzburger Festspielen

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Während es – nach Rückzug von Siemens– in diesem Jahr in Bayreuth kein Public Viewing mehr gibt, offeriert dieser Sponsor bei den Salzburger Festspielen traditionell ein volles Programm aus Novitäten und Aufzeichnungen früherer Salzburger Festspiel-Sommer, in diesem Sommer insgesamt 40 Übertragungen. Auf dem Kapitelplatz, nahe dem Großen Festspielhaus, erlebten Tausende von Besuchern nur geringfügig zeitversetzt die Premiere von „La Bohème“ im Großen Festspielhaus. Da nmz Online in diesem Jahr erstmals nicht mit Premierenkarten bedacht wurde, mischte sich der Rezensent unter die Public Viewer.

Bereits der im Jahre 1996 früh verstorbene Komponist und Autor Jonathan Larson hatte in seinem dramaturgisch und mit Reminiszenzen auch musikalisch auf Giacomo Puccinis „La Bohème“ basierenden Musical „Rent“ die Handlung von Henri Murgers Roman „Scènes de la vie de bohème“ in die Gegenwart transformiert. So praktiziert es nun auch die Inszenierung von Damiano Michieletto. Mit Pariser Plakaten und großem U-Bahnplan umgibt Bühnenbildner Paolo Fantin kleinteiligeren Wohlstandsmüll. Carla Tetis Kostüme wandeln die Protagonisten in peppigen T-Shirts zu heutigen Aussteigern, trefflich verkörpert von Massimo Cavalletti als Maler Marcello, Alessio Arduini als Musiker Schaunard und Carlo Colombara als Philosophiestudent Colline.

Das Weihnachtsfest ist ein farbenprächtig bombastischer Kommerzrausch, mit instrumentierenden Weihnachtsbaum-Männern (Bühnenorchester) und einem gedoppelten Spielzeugverkäufer als fliegendem Superman (Paul Schweinester und der Artist Steven Foster). Die von Wolfgang Götz einstudierten 22 Kinder des Salzburger Festspiele und Theater Kinderchors drängeln und wirbeln mit ihren Einkaufswagen durch das Gegenbild der Armut.

Getränke- und Schmankerlstände sind das sommerliche Live-Pendant auf dem von Gewitter und Regenschauern ungetrübten Kapitelplatz, für ein multikulturelles Publikum im Abendkleid und im Straßendress, auf Liegestühlen und im Stehen. Bei dem hier parallel möglichen, kollektivem Genuss von Oper, Essen und Trinken, erfolgt auf einem gigantischen Screen und in technisch exquisiter Tonübertragung das Erlebnis der Opernstars, des stimmgewaltig lyrischen Piotr Beczala als Rodolfo und der gefeierten Primadonna Anna Netrebko; sehr fraulich, aber mit unverfärbt stimmlichem Schmelz verkörpert die 40-jährige Mutter jene junge Mimi, deren Herzenswunsch nach einem feschen roten Hut zwar Erfüllung findet, deren Liebe zum Maler Rodolfo sich aber angesichts der dominierenden Lebensumstände als ein trauriges Missverständnis erweist. Nino Machaidze, kurzfristig als Musetta eingesprungen, vermag die Männer diesseits und jenseits des Grabens, trotz scharfer Höhe, mit raffiniertem Sex zu becircen.

Als Koproduktion mit dem Shanghai Grand Theatre erlebte Puccinis Oper in diesem Jahr ihre Salzburger Festspiel-Erstaufführung. Offenbar war den Vorgängern des neuen Intendanten Alexander Pereira die Kunst des Opernrealisten für dieses Festival als zu flach erschienen.

Dabei hat Daniele Gatti sein Bayreuther „Parsifal“-Dirigat aber offenbar gerne gegen diese Salzburg-Premiere eingetauscht, um mit den bestens disponierten Wiener Philharmonikern Puccinis Partitur gezielt wirkungssicher auszuloten.

Die Besucher des Großen Festspielhauses jubelten einvernehmlich, und die noch größere Besuchergruppe im Freien sang Puccinis Melodien unter nächtlichem Sternenhimmel beschwingt nach. Rings um den Rezensenten kursierte die Meinung, dass die Netrebko ihr Leiden doch sehr glaubhaft verkörpert habe.

Weitere Aufführungen: 4., 7., 10., 13., 15., und 18. August 2012, sowie am 2. August um 22:15 Uhr im ZDF.

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