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Geschlossene Ghetto-Welt: „Der Kaiser von Atlantis“ in Gelsenkirchen. Foto: Pedro Malinowski
Geschlossene Ghetto-Welt: „Der Kaiser von Atlantis“ in Gelsenkirchen. Foto: Pedro Malinowski
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Sperrig, aber gerade so ganz richtig: Viktor Ullmanns „Kaiser von Atlantis“ am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen

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Unbekümmert kommt der Beifall. Kaum würde man am munteren Gekreische speziell für die tapferen Akteure des MIR-Jugend-Orchesters vermuten, dass hier soeben eines der bedrückendsten Dokumente des jüngeren Musiktheaters über die Bühne gegangen ist.

Man kommt ja einfach nicht hinweg über die schlechterdings haarsträubende Entstehungsgeschichte dieser Musik. Auch wenn wir mittlerweile wissen, was in dem goldenen Käfig namens Theresienstadt, in diesem ausgetüftelten Vorzeigegefängnis des Dritten Reiches alles an Kunst und Kultur gemacht wurde und entstanden ist – die Verwunderung bleibt. Woher nur hatten der Schönberg-Schüler Viktor Ullmann und sein Librettist Peter Kien die Kraft für dieses Werk? Den Tod in den Streik gehen zu lassen, um einem todesverliebten Kriegstreiber in die Speichen zu fallen. Letzterer war als Bühnenfigur Kaiser Overall für die Theresienstadt-Häftlinge sicher ohne Mühe als Schauder-Chiffre für den Overkiller Hitler lesbar. Traumatisch.

Sicher, da sind noch allerhand offene Fragen um die editorische Gestalt des Werkes oder um die Gründe für den Abbruch der Probenarbeit in Theresienstadt. Andererseits begegnet uns in diesem Kaiser von Atlantis ein Werk, das in seinem Humanismus, in seinem geistigen Widerstand gegen den Terror berührt, bewegt. Und zugleich doch jede Regie, die sich diesem Stoff heute nähert vor riesige Probleme stellt. Immerhin, je weiter die Historisierung der Nazi-Verbrechen voranschreitet (was lange nicht sein durfte, aber nun einmal nicht zu verhindern ist), desto unwirklicher, desto ferner erscheinen die sie repräsentierenden Zeichen.

Was tun?

Carsten Kirchmeier, der junge Regisseur am Gelsenkirchener Musiktheater hat sich für einen Spagat entschieden. Einerseits gibt es klares historisches Kolorit. Einen Wachtturm mit bedrohlichem Schattenriss am Bühnenrand und im Bühnenhintergrund hat er sich von seiner Ausstatterin Helke Hasse eine schwarze kreidebekritzelte Gefängniswand aufstellen lassen. Geschlossene Ghetto-Welt. Zugleich verweisen sein klassisch-karnevalesk kostümierter Harlekin, sein Trommler mit quietschbuntem Instrument um den Bauch die Reverenz ans Theatermäßige, in das dieses von der MIR-Dramaturgie etwas rätselhaft bezeichnete „Todes Songspiel“ tendiert.

Andererseits ist das Grauen nun einmal nicht darstellbar, das in diesem Stück mit seinen Schwarz-Klängen und Todes-Figuren steckt. Auch nicht für einen erfahrenen Sänger wie Claudius Muth als finster tuender Lautsprecher im Overall, der auf seinem Wachtturm noch die prominenteste Position einnimmt. Mit Ullmanns dissonanten, tritonuslastigen, zum Teil aus Clustern gebildeten Linien, mit all den klingenden Anspielungen auf die Todesverfallenheit und „Tod-Verweigerung“ hat das Ensemble insgesamt sichtlich zu kämpfen. Operiert über manche Strecken am Anschlag, auch mit Folgen für die Textverständlichkeit.

Worin dann letztlich deutlich wurde, wie sehr der theaterpädagogische Impetus sich reiben kann an der Anspruchshöhe, die ein Komponist wie Viktor Ullmann seinen Partien eingeschrieben hat. Für Vasilios Manis, für Tina Stegemann, Mitglieder des Jungen Ensemble am MIR wahrlich eine Herausforderung. Auch diese beiden, der griechische Bariton wie die (vielversprechende) Sopranistin Tina Stegemann als Bubikopf stehen am Anfang einer Bühnenlaufbahn.

Wie überhaupt auffällig ist, dass ausgerechnet Ullmanns sperriger Klassiker für die Nachwuchsarbeit in der Theaterlandschaft heute eine so aktive Rolle spielt. Überall (noch so eine eigentlich begrüßenswerte Entwicklung) versucht man sich an ihm. Und siehe nicht zuletzt das bereits zum fünften Mal ausgerichtete Projekt eines aus jungen Instrumentalisten gebildeten MIR-Jugend-Orchesters. Nach Casting im vergangenen Oktober waren die Osterferien (sinnvoller lässt sich Freizeit wahrscheinlich nicht nutzen) für die Probenarbeit da. Dass manches wackelte, war unvermeidlich. Doch sich überhaupt einer solchen Aufgabe zu stellen, ist eine achtbare Leistung, an deren Zustandekommen Dirk Erdelkamp am MIR-Pult seinen nicht geringen Anteil hatte.

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