Hauptbild
Die Herrin (Julla von Landsberg) und ihre vier Diener (Christoph Eglhuber, Franz Vitzthum, Klaus Wenk, Marcus Schmidl): Stimmwercktage 2013. Foto: Juan Martin Koch
Die Herrin (Julla von Landsberg) und ihre vier Diener (Christoph Eglhuber, Franz Vitzthum, Klaus Wenk, Marcus Schmidl): Stimmwercktage 2013. Foto: Juan Martin Koch
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Spirituelle Kraft und saftige Commoedia: Musik Orlando di Lassos bei den Stimmwercktagen 2013

Publikationsdatum
Body

Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen: Wie in einer einzigen Textzeile die ganze Meisterschaft eines Komponisten (hier: Orlando di Lasso) aufscheinen kann, dafür öffneten einmal mehr die „Stimmwercktage“ die Ohren. Seit 2005 lockt dieses Festival des Vokalensembles „Stimmwerck“ eine enthusiastische Gemeinde von Freunden der Renaissance-Musik auf den Adlersberg bei Regensburg.

Mit der Kirche des ehemaligen Dominikanerinnen-Klosters ist dies ein geschichtsträchtiger, kunsthistorisch bedeutsamer Ort, der freilich durch die angrenzende Brauerei fest in der Gegenwart geerdet ist und ein harmonisches Nebeneinander von spirituellem Innehalten und Oberpfälzer Gastlichkeit ermöglicht.

Doch zurück zu Orlando di Lasso: In seiner Motette „Media vita in morte sumus“ löst er zu Beginn die Worte durch sich stetig aufs Neue überlappende Wiederholungen in einer einzigen Klangwolke auf. „Vita“ und „mors“ sind unauflöslich miteinander verschränkt, das eine ohne das andere nicht denkbar. Die abschließende Bitte an den barmherzigen Retter, uns nicht dem bitteren Tode preiszugeben, hallt lange und eindringlich im Kirchenraum nach.

Momente wie diese gab es zahllose bei den diesjährigen geistlichen Konzerten in der Adlersberger Kirche. Lassos Kunst, in einem ganz selbstverständlich und ebenmäßig fließenden Satz einzelne Textaussagen in ein plötzlich neu eingefärbtes Licht zu tauchen, macht staunen, zieht den Hörer in die Werke hinein, richtet den Fokus auf den Kerngehalt.

Eine andere Faszination üben am Freitag Abend Auszüge aus den Lamentationen des Propheten Jeremias aus: Den kurzen Sentenzen sind die gliedernden Buchstaben des griechischen Alphabets vorangestellt. Wie die illuminierten Initialen in einer prächtigen Handschrift stehen sie für sich und geben gleichzeitig die Stimmung für das Nachfolgende vor: in diesem Fall in sich geschlossene, durch variable Satztechnik und harmonische Behandlung in einem jeweils ganz neuen Tonfall gehaltene Miniaturen. Sie fügen sich zu einer wundersamen Einheit in der Vielfalt.

Das Kernensemble der „Stimmwercker“ – Franz Vitzthum, Klaus Wenk, Gerhard Hölzle und Marcus Schmidl – wirkte wie beseelt von der Qualität dieser Musik, gab den individuellen Stimmakzenten unverwechselbares Profil, um im nächsten Moment in der Homogenität des Gesamtklangs aufzugehen. Als Gast brachte Christian Wegmann markante tenorale Kraft ein, die das Ensemble zu größerer dynamischer Entfaltung herausforderte. Caroline Wegmann konnte sich nicht durchweg gegen Franz Vitzthums strahlende Präsenz durchsetzen, umso überwältigender färbte ihr Stimmklang das Pianissimo des „Miserere“ im „Domine ne in furore“ aus den berühmten Bußpsalmen. Deren faszinierende Prachthandschrift hatte zuvor Andreas Wernli in Wort und Bild lebendig werden lassen. Marcus Weigl war als Bariton nur für das eingangs beschriebene „Media vita in morte sumus“ eingeladen worden. Lohnender hätte ein solcher Kurzauftritt kaum ausfallen können.

Als sei das alles noch nicht genug, gab sich – nach seinem Auftritt vor zwei Jahren – erneut Paul O'Dette die Ehre. In einer grandiosen, von Georg Blümls Lesung einiger Lasso-Briefe gewürzten Matinee ließ er die Spannweite an dynamischen und artikulatorischen Feinheiten lebendig werden, die innerhalb des begrenzten Volumens einer Renaissance-Laute möglich sind. Intavolierungen von Lasso-Zeitgenossen waren zu hören, darunter auch Versionen von dessen Werken. Eine davon, die Chanson „Susanne un jour“, präsentierte O’Dette gleich in mehreren, die Popularität der Melodie beweisenden Versionen, ehe er mit den aberwitzigen Variationen des Giovanni Antonio Terzi scheinbar mühelos das Instrument an die Grenzen seiner technischen Möglichkeiten trieb.

„In der letzten Stunde wird alles vergehen…“: Zum Abschluss des zweiten Kirchenkonzerts beschworen die Sänger noch einmal mit unwiderstehlicher Lust die vergängliche Magie von „Tanz, Gesang und Gegengesang“. Tags darauf sollten sie sich dieser in der „Commoedia“ noch einmal ganz hingeben. Denn der Münchner Regisseur Georg Blüml hatte den Stimmwerckern gemeinsam mit Christoph Eglhuber aus Lasso-Werken und anderen Musiknummern eine veritable Madrigalkomödie nach Art der italienischen Commedia dell’Arte auf den Leib und in die Kehlen geschrieben.

„Die Herrin vierer Diener“ erwies sich dabei als saftiges, mit Anzüglichkeiten nicht sparendes Spectaculum, das durch die mit Finesse vorgetragenen Musiknummern nobilitiert wurde. Die als Erzkomödianten sich entpuppenden Herren Vitzthum, Wenk, Hölzle und Schmidl schlüpften mit überbordender Spiellust in ihre Rollen, darunter tiefgehende Porträts eines Fensters oder eines Geißblattstrauchs. Trefflich ergänzt und begleitet wurden sie durch Christoph Eglhubers Laute schlagenden Italo-Diener Zanni. Julla von Landsberg gab mit großer Bühnenausstrahlung und herrlicher Stimmkunst die notorisch unbefriedigte Edel-Kurtisane, die am Ende von den Errungenschaften eines Dottore Traviagra erlöst wird – der zum Renaissance-Theater umfunktionierte Brauerei-Stadel tobte.

Im kommenden Jahr steht von 1. bis 3. August die Musik Heinrich Isaacs im Zentrum der Stimmwercktage.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!