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Titelseite der nmz 2018/11.
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Sprach-Deutung

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Barbara Haack über eine Heimatdiskussion
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Wenn zwei das Gleiche sagen, meinen sie noch lange nicht das Gleiche. Generationen von Sprachwissenschaftlern haben dieses Phänomen erforscht und in klugen Kommunikationsmodellen veranschaulicht. Gerade in einer Zeit, in der in Politik und Gesellschaft neue Deutungshoheiten über Sprache beansprucht, in der Begriffe aus dem Müllbeutel der Geschichte hervorgeholt werden (in den man sie doch eigentlich schon für immer versenkt hatte), ist es angesagt, hinter die Worte zu schauen, Deutungen gegebenenfalls auch zu entlarven.

Die diesjährige Mitgliederversammlung des Deutschen Musikrats war überschrieben mit „Stadt.Land.Musik“, im Resolutionsentwurf ergänzt durch „Musik schafft Heimat“. Ein weiter Bogen, der Raum lässt für Kommunikation auf verschiedenen Ebenen ebenso wie für begriffliche Mehrdeutigkeit. Spätestens in der Diskussionsrunde mit Marc Jongen als einem von sechs geladenen kulturpolitischen Sprechern der Bundestagsparteien wurde deutlich, wie wichtig das Hinterfragen von Begriffen ist.

Erwartungsgemäß zeigte Jongen sich erfreut über den hohen Stellenwert des Themas „Heimat“ für die Musikschaffenden und -funktionäre. Was aber bedeutet „Heimat“? Hatte der Eingangsredner der Veranstaltung, Matthias Theodor Vogt,  über „Heimat als imaginären Raum“ gesprochen – auf Ernst Bloch rekurrierend, der Heimat als Utopie verstanden wissen wollte –, so zeichnet Jongen ein deutliches Bild der Abgrenzung einer deutschen oder europäischen gegenüber anderen (Heimat-)Kulturen. Nicht überraschend, hatte er im Deutschen Bundestag doch bereits die „Politik der Masseneinwanderung“ beklagt, „die unbegrenzt kulturfremde (!) Menschen ins Land“ hole. Den Anwesenden wollte er eine gemeinsame „kulturelle Identität“ andichten und brachte damit einen weiteren Begriff ins Spiel, der der Interpretation bedarf. Wohl niemand in der – doch relativ homogenen Gruppe – war „kulturell identisch“ mit dem Nebenmann, der Nebenfrau. Vermutlich treffen sie sich bei Bach, Brahms, Beet­hoven. Aber wer von ihnen hört Gregorianik, wer Coldplay? Wer hat Astrid Lindgren (nicht) gelesen, wer Thomas Mann, wer Asterix? Alter, Sozialisierung, Herkunft, individuelle Prägung machen noch jeden Menschen zu einem einzigartigen „kulturellen Individuum“.

Jongens zu Beginn des Jahres erklärtes Ziel, die „Entsiffung des Kulturbetriebs“ in Angriff nehmen zu wollen, verharmlost er: Er habe auf ein Zitat anspielen wollen, versehentlich dieses nicht als solches gekennzeichnet. Das hat Methode: Ein geächteter Begriff wird verwendet, anschließend halbherzig zurückgenommen. Aber er ist damit (wieder) in der Welt… Jongens Parteikollege im Bundestag, Martin Erwin Renner, vereinnahmt dort den Begriff der „Gleichschaltung“ und meint damit die bundespolitische Kulturförderung. Auch eine Methode der politischen Sprachsteuerung! Politiker der AfD verstehen sich bestens auf solche sprachliche Vereinnahmung. Gerade deshalb war es gut, dass Marc Jongen beim Musikrat nicht „draußen bleiben“ musste: Wer solche Sprache entlarven will, sollte sich damit auseinandersetzen – auch im Gespräch. Deutungs-Einigkeit wird man dabei – hoffentlich – nicht erlangen.

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