Während die Akademie der Künste in Berlin die Frage stellt, ob man Wagner feiern dürfe, prangt in Dresden auf Plakaten selbstbewusst: „Wir feiern unseren Richard Wagner“. Doch das Wagner-Repertoire der Staatsoper ist geschrumpft und das Programmangebot mehr als bescheiden. Die in Radebeul ansässigen Landesbühnen Sachsen springen in die Bresche und bringen Wagners zweites vollendetes Bühnenwerk zur Erstaufführung.
In der Inszenierung von Hinrich Horstkotte treten in Wagners Großer komischer Oper „Das Liebesverbot“ alle Wagnerschen Protagonisten auf, vom fliegenden Holländer bis zum Parsifal. Beim ersten Ertönen jenes Themas, welches das vom deutschen Statthalter Friedrich in Palermo verordnete Verbot der freien Liebe symbolisiert, schrickt der Hörer zusammen – so schräg und falsch dröhnt es. Seit Herbst dieses Jahres sind das Orchester der Elbland Philharmonie Sachsen und das Orchester der Landesbühne fusioniert – und diese Zwangsehe fördert keine guten Klänge. Merklich spielen Instrumentalisten gegen-, nicht miteinander, die Intonation ist ein Graus.
Besser, man hört gar nicht auf diese Orchesterformation, in der die Streicher so gut wie nie zusammen sind und selbst solistische Einsätze misslingen. Um so besser ist es um die sängerische Qualität bestellt: rollendeckend bis durchaus brillant die Solisten und der von Sebastian Matthias Fischer einstudierte Opernchor der Landesbühnen Sachsen, verstärkt durch Mitglieder des Freien Opernchores „coruso“.
Die Partitur des 22-jährigen Wagner ist klug eingestrichen, so dass keine musikalische und kaum eine dramaturgische Idee unberücksichtigt bleiben (Dramaturgie: Gisela Zürner); nur Wagners – seiner Heldin Isabella als Argument für die freie Liebe in den Mund gelegte – Plädoyer, dass die Natur dem Mann die Kraft gegeben habe, die Schönheit des Weibes zu genießen, erschien den Bearbeitern in Radebeul wohl als zu sexistisch. Manche Textstellen wurden neu gefasst, insbesondere in jenen Fällen, wo Wagner alternativ Rezitative und Dialoge verfasst hat, wobei einmal auch die Rezitativfassung gewählt wurde. In Wagners Partitur aus dem Jahre 1836, die das Gnadenthema aus dem „Tannhäuser“ antizipiert, wurden allerdings auch Themen aus den späteren Partituren „Lohengrin“ und „Tristan und Isolde“ integriert, um so das in der Inszenierung angewandte, szenische Parodieverfahren auch musikalisch zu rechtfertigen. Denn bei dem – vom Volk entgegen dem Verbot vollzogenen „lasterhafte[n] Fest“ des Karneval treten sämtliche Handlungsträger in leicht wiedererkennbaren Wagner-Kostümen auf, nur der Statthalter, der zum Übertreten seines eigenen Gebots auch durch Maskierung gezwungen wird, kostümiert sich als Rigoletto – und zollt so als Deutscher (besetzt mit einem Asiaten) Wagners italienischem Geburtsjahreszwilling Giuseppe Verdi Tribut.
Durchaus reich an Detail-Einfällen ist die Inszenierung von Hinrich Horstkotte:
Im Kloster hinzuerfunden hat der Regisseur eine alte Organistin, welche Mariana und Isabella bei ihrem Duett, das hier aus dem Klavierauszug vom Notenpult gesungen wird, stumm am Harmonium begleitet und dazwischen einschläft. Wüstling Luzio hängt seinen Hut über ein Kruzifix; in Isabellas Zelle, die als vertikale Schublade aus der rechten Bühnenwand herausgezogen wird, fällt er sogleich körperlich über die Novizin her.
Die Schublade auf der gegenüberliegenden Bühnenseite enthält das zum Gerichtssaal gehörige Klo. Hier liest Brighella bei körperlichen Verrichtungen Wagners Klavierauszug, und hierhin zieht sich Friedrich mit Isabella für sein Apart zurück. Und schließlich wird das WC im Schlussakt auch zum Ort des Stelldicheins zwischen Friedrich und Isabella, respektive der von Isabella Friedrich untergeschobenen, in der Vorgeschichte verlassenen Mariana. Der Akt der Bestechung des Gefängniswärters erfolgt pantomimisch, aber jener Dialog, aus welchem hervorgeht, wie der Zuhälter Pontio Pilato zu diesem Amt kam, ist gestrichen.
Als Running Gag wird im Spiel ein Mikrofon an langer Strippe eingesetzt, etwa wenn Isabella das Volk in den Gerichtssaal ruft: unter der (unhörbaren) Verstärkung leidet das Gehör der ihre Ohren zuhaltenden Handlungsträger, die ihre Petition, das Liebesverbot aufzuheben, durch Konfetti-Werfen unterstreichen. Vieles aber erscheint beliebig, so wird gern geschunkelt, und der Chor bildet eine Polonaise Blankenese.
Der für die sechs Spielorte der Handlung leicht modifizierbare Grundraum von Martin Dolnik, inklusive einem Zwischenvorhang, bedingt gleichwohl unerfreuliche Umbaupausen. In die Handlung integriert ist ein Tresen auf der linken Vorbühne, während das rechts aufgehängte Poster eines dunkel bebrillten Richard Wagner nicht bespielt wird. Dessen Brille allerdings setzt sich aktionistisch mit drei Brillen des Brighella ebenso fort, wie im komischen Spiel der zunächst extrem kurzsichtig gezeichneten Isabella – eine Behauptung jedoch, die im weiteren Verlauf des Abends unberücksichtigt bleibt.
Auf der linken Vorbühne, in der zur Eisdiele transformierten Bar, erfolgt das glücklicherweise erklingende Terzett von Isabella, Dorella und Luzio – einer musikalisch so zündenden Idee, dass daraus ein italienischer Komponist wohl eine halbe Oper gebaut hätte. Der die Oper abschließende Marsch der Militärmusik (für den heimkehrenden König, in Wagners Sicht dem ersten Republikaner seines Volkes) leitet – in Radebeul stark verkürzt – über in die Applausordnung.
Horstkotte zeichnet auch für die Kostüme verantwortlich. Originell ist der kreuzförmige Ausschnitt in Isabellas schwarzem Kleid vor Gericht, als Verführungssignet noch unterstrichen durch ein kleines Kreuz im Schritt auf der Rückseite ihres Kostüms. Und wirkungsvoll sind die historisierenden Wagner-Kostüme (insbesondere Leihgaben aus Chemnitz).
Einwandfrei ist die Besetzung für die beiden Novizinnen: Stephanie Krone als wendige Isabella und Anna Erxleben als Mariana schlüpfen beim Karneval in Walküren-Kostüme und vermögen den Bogenschlag zu Brünnhilde und Waltraute im Schlussakt auch stimmlich zu gewährleisten. Miriam Sabba als Schankmädchen Dorella verweist auf ihre spezielle Fähigkeit des Blasens – mittels Kaugummi, was sie sogar während ihres Singens unter Beweis stellt, während sie als karnevaleske Woglinde auf den Spitzen des Fischschwanzes balanciert.
Wagners frühe Partitur verlangt zwei exponierte Tenöre; Kay Frenzel punktiert bisweilen die hohen Lagen der Partie des Luzio, meistert aber alle drei Strophen des aufrührerischen Karnevalsliedes (im Siegfried-Kostüm), und der wegen Schwängerung seiner Geliebten zum Tode verurteilte Claudio ist mit Guido Hackhausen (im Finale mit Stolzing-Barett) erstklassig besetzt. Trefflich in Gesang und Spiel gestaltet der hoch gewachsene Buffotenor Andreas Petzold den Pontio Pilato, der im Karneval mit vorgeschnallten kurzen Beinen auf Knien den Mime spielt, und auch Fred Bonitz als Angelo/Loge und Hagen Erkrath als Danieli/Tristan bleiben als leistungsfähig im Gedächtnis. Zu viel an Klamauk wendet der rhythmisch nicht immer sichere Michael König in der Partie des Sbirrenchefs (im Karneval als Lohengrin) auf; seine Hitler-Diktion weckt unangenehme Assoziationen, die bei Brighella, einer der Macht entsagenden Figur, als oberflächlicher Gag ins Leere schießen.
Die beeindruckendste Leistung bietet Paul G. Song als Statthalter Friedrich, mit kraftvoller Balance dieses Wolfram-Vorläufers im vokalen Spannungsfeld von Wotan und Amfortas, bravourös in der bei Aufführungen zumeist gekürzten, hier vollständig erklingenden großen Arie im zweiten Akt.
Christian Voß, GMD der Elbland-Philharmonie Sachsen, bewährt sich – vermutlich erstmals – als Theater-Dirigent: er vermag die Bühne durchaus besser zu kontrollieren als das Zusammenspiel im Graben.
In der Pause der Premiere verließen einige Besucher das Theater, aber jene, die dablieben, spendeten Wagners sehr freier Opernversion von Shakespeares „Maß für Maß“ nach 190 Minuten ungeteilten Beifall.
Weitere Aufführungen: 16., 21. Dezember 2012, 11., 20. 26. Januar (Eisleben), 20., 24. Mai (Bad Elster) 2013