Wer das Morgen gestalten möchte, muss das Heute in seiner Komplexität erfasst haben – gerade auch die Probleme. Gesundes Misstrauen ist angebracht, wenn bunte Statistiken in den Raum geworfen werden: Allzu häufig kaschieren sie die Hilflosigkeit. Dieser Eindruck bestätigte sich auch auf der Tagung „Festivals 3.0 – Eine Möglichkeit Zukunft zu gestalten?“ beim Heidelberger Frühling. In drei Panels wurde über das „Publikum im Internet-Zeitalter“, die „Aufgaben und Chancen von Festivals heute und morgen“ sowie die „Festival-Finanzierung“ gebrütet.
Das ernüchternde Ergebnis: Wer die Bücher „Das Konzert“ (herausgegeben von Martin Tröndle) sowie „Kulturinfarkt“ von Pius Knüsel u. a. gelesen hat, konnte sich manche Beiträge und Wortmeldungen sparen. Immerhin diskutierte auch Prominenz aus der Praxis, darunter Gerard Mortier (Teatro Real Madrid), Markus Hinterhäuser (Wiener Festwochen), Martin Hoffmann (Berliner Philharmoniker), Christoph Lieben-Seuter (Elbphilharmonie und Laeiszhalle Hamburg), Ilona Schmiel (noch Beethovenfest Bonn, bald Tonhalle Zürich) und Thorsten Schmidt (Heidelberger Frühling). Das Problem: Je nach Panel sprachen andere Teilnehmer, eine themenübergreifende Perspektive konnte nicht erwachsen.
So hätte man gerne von Steven Walter vom „Podium – Junges Europäisches Musikfestival“ gehört, wie er als weitaus jüngster Teilnehmer das Publikum im digitalen Zeitalter oder das „Crowdfunding“ im Netz als Finanzierungsquelle einschätzt – dafür war er aber nicht vorgesehen. Und so gab es viel Wiedergekäutes. Ja, in der Online-Ära wolle das Publikum teilhaben, das aber in der Klassik älter werde – wobei die Ältere heute mehr zu Rock, Pop oder Jazz tendierten und trotzdem weiterhin den Klassik-Schwerpunkt bildeten. Viel Zahlensalat und wenig Erkenntnis, zumal die Diskussion um das alternde Klassikpublikum schon seit Jahrzehnten kursiert.
In einer Wortmeldung brachte es Matthias Fuchs vom Lucerne Festival auf dem Punkt: „Früher hieß es, junge Menschen blieben der Klassik fern, weil viele drogenabhängig seien. Dann war es die soziale Herkunft, jetzt ist es die digitale Zerstreuung.“ Tatsächlich wäre es erhellender gewesen zu hören, welche Folgen die Reduktion des Musikunterrichts an den Schulen seit Mitte der 1980er Jahre hat. Das wurde ebenso ausgeklammert wie die Auswirkungen des achtstufigen Gymnasiums, das eine häusliche Musikpflege kaum noch ermöglicht – auch deswegen die Educationprogramme, deren Inflation in Heidelberg mitunter moniert wurde.
Andererseits hätte man gerne Hinterhäusers und Mortiers Meinung zur Finanzierung gehört, da waren sie aber bereits abgereist. Stattdessen musste man sich u. a. mit Pius Knüsel begnügen, der für seine markigen Sprüche bekannt ist. „Was wäre gefährdet, wenn die Hälfte der Theater und Museen verschwände? Weniger ist mehr!“: Für solche Kommentare ist er bekannt. In Heidelberg gab er sich moderater: „Warum sollen Unternehmen Kultur fördern, wenn sie ohnehin schon Steuern zahlen?“, stichelte er in die Runde. Dafür aber war es ausgerechnet Mortier, der Knüsels bekannte Polemiken indirekt aufgriff. Zwar kritisierte er die Fusion der SWR-Orchester, dennoch gebe es in Deutschland zu viele Klangkörper.
Auf die Frage, wie er als Opernleiter in Madrid mit der hohen Arbeitslosigkeit in Spanien umgehe, um sein Haus auch sozial relevant zu machen, wich Mortier aus – jedenfalls sprach er vor allem von günstigen Kartenaktionen, nicht aber von Programmen und Inszenierungen, die die Krise wie auch immer reflektieren. Es war Hinterhäuser, der später Stellung bezog und auf Ungarn verwies, wo mitten in der EU ein autoritäres System entsteht: Auch darauf müsse reagiert und die „subversiven Kräfte der Kunst“ genutzt werden. Das Publikum wolle generell sehr wohl gefordert werden, und damit war alles gesagt. Denn unterhalten kann man sich besser zu Hause auf dem Sofa mit den eigenen Musikkonserven, dafür braucht man Festivals nicht.