Inzwischen sind wir so vermessen, unser kleines Leben auf das quantitativ Messbare reduzieren zu lassen. Wir starren auf unbegreifbare Milliarden- und Billiarden-Löcher. Wir lassen unsere Bewegungen von Mobilfunk-Zellen freiwillig exakt lokalisieren. Wir glotzen auf Quoten statt auf Qualität und sind ratlos oder zu feige, wenn es darum geht, Letztere zu benennen, sie zu definieren, auf ihr als Wertmaßstab zu bestehen. [aus nmz 12-11/1-12]
Solchem Irrweg scheint auch die Vorstandschaft der Kulturstiftung des Bundes erlegen, wenn sie im Editorial ihres Selbstdarstellungs-Magazins über „Grenzen des Wachstums“ im Kulturbereich nachzudenken versucht und damit von Haus aus eine quantitative Sicht der Dinge in den Vordergrund rückt. Denn die Künste „wachsen“ nicht – im alternativlos merkelschen Sinne. Sie sprießen und wuchern, blühen, töten, sterben selbst, entwickeln sich jedenfalls jenseits aller materialistischer Kontroll-Sehnsüchte, wenn man sie denn für lebensnotwendig hält – und leben lässt.
Deshalb bedürfen sie in Zeiten der Komplett-Digitalisierung unseres Planeten gewissermaßen analoger Schutzräume, Labore und Werkstätten frei von der Kontrolle eines Bundesrechnungshofes oder von Rating-Agenturen. Solche Räume im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu schaffen (und die sollten kräftig ausgebaut werden) ist die zentrale Aufgabe einer Bundes-Kulturstiftung. Nicht das wiederum zahlengesteuerte Abwägen zwischen „Erinnerungskultur“ und Investition in die Petri-Schalen, in die Entwicklungs-Abteilungen. Demnächst endet nach vier Jahren, genaue Zeitmessung reguliert leider auch hier den Geldfluss „verantwortungsbewusst“, das „Netzwerk Neue Musik“. Unabhängig von der recht ausgewogenen Eigenbilanz des künstlerischen Leiters Bojan Budisavljevic (Seite 13 in dieser Ausgabe) kann man diesem Projekt ein wirklich positives Zwischenzeugnis ausstellen. In einem von ausgeprägten Individuen dominierten, natürlich viel zu kleinen „Kunst-Raum“ ist es dem Berliner Netzwerk-Büro gelungen, verkrustete Ideologien aufzubrechen, Verständnis für ein hochkomplexes Zukunfts-Kulturgut zu schaffen, ganz pragmatisch organische Verbindungen zu knüpfen: am kapitalen Wüstenrand fruchtbares Ackerland zu gewinnen, weit jenseits von Ackermann, Moodys & Co.
Bei aller Freude über die Mehrung solcher Ressourcen dank erfolgreicher „Entlassung“ gut der Hälfte aller Förderprojekte in die freie Wildbahn finanzieller Selbstverantwortung bleibt ein Grundzweifel. Ist es sinnvoll, dass sich die Bundeskulturstiftung – gewissermaßen dem verbreiteten Euro-Darwinismus frönend – schlicht termingerecht aus diesem Förderwinkel zurückzieht? Drückt sie sich aus angeblich politischer um die inhaltliche Verantwortung? Es werden grob formalistisch sinnvolle Strukturen gekappt, die für die „Szene“ derzeit noch unersetzlich sind, legte man Wert auf ihr weiteres Aufblühen.
Es ginge auch anders: Die Kulturstiftung könnte mit verhältnismäßig mikronesischem Aufwand die Kompetenz des Berliner Netzwerk-Büros erhalten – ähnlich wie es zur Fortführung des „Tanz-Planes“ vorgesehen ist. Dann würde das „Netzwerk Neue Musik“ eben nicht in der Sparte „Erinnerungs-Kultur“ vermodern…
Am 16. und 17.12.2011 findet in Köln der „Netwerkausklang“ statt. Weitere Infos unter:
http://www.netzwerkneuemusik.de/index.php?option=com_content&task=view&…