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Noch tönt es neu in Witten: Nicola Gründel beim Eröffnungskonzert des Festivals 2012. Foto: Stefan Pieper
Noch tönt es neu in Witten: Nicola Gründel beim Eröffnungskonzert des Festivals 2012. Foto: Stefan Pieper
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Streichkonzert: Wie die Wittener Tage für neue Kammermusik noch einmal am GAU vorbeikommen

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Das war knapp! Die Verträge unterschrieben, das Festival bis ins Detail durchgeplant: 23 Uraufführungen, sechs deutsche Erstaufführungen, Liveübertragung, Mitschnitte, Liveelektronik. Mehr als ein halbes dutzend hochkarätige Ensembles, zwanzig Komponisten aus elf Ländern, Autoren-Filme und Werkstatt-Gespräche im Begleitprogramm. Dann, wenige Wochen vor der Eröffnung, aus sprichwörtlich heiterem Himmel, ist es eine Bezirksregierung in Arnsberg, die den Kurzschluss auslöst, weshalb ein Festivalbericht wie dieser als Katastrophen(verhinderungs)bericht beginnen und im wesentlichen auch so enden muss.

Verantwortlich für den Beinahe-GAU ein Ding namens „Stärkungspakt Stadtfinanzen“, beschlossen im nordrheinwestfälischen Landtag mit den Stimmen von SPD, Grünen, FDP. Die Folge: „Überschuldete“ Städte wie Witten bekommen es mit verschärften „Spar“-Auflagen zu tun. Einen städtischen Haushalt verabschieden? Geht nicht. Ausgaben tätigen für „freiwillige“ Aufgaben, beispielsweise um ein Kammermusik-Festival mitzufinanzieren, erst recht nicht. Ein Kasus, der der Bezirksregierung Arnsberg im Prinzip seit Dezember 2011 bekannt ist. Doch erst im März diesen Jahres verschickt sie den Ukas, wonach die im Nothaushalt hängende Stadt Witten ihre Tochter, Festival-Mitveranstalter „Kulturforum Witten“, nicht mit dem längst eingestellten, allseits eingeplanten Eigenanteil (40.000 Euro) ausstatten darf, woraufhin im schönsten Dominoeffekt auch der Zuschuss des Landes (30.000) den KW-Vermerk bekommt: Kann wegfallen. Nur die generöse Haltung des (Haupt)-Veranstalters Westdeutscher Rundfunk, für den plötzlichen Totalausfall einzustehen, macht sie in dieser Situation überhaupt noch möglich – die 44. Ausgabe der „Wittener Tage für Neue Kammermusik“.

Protest am Rande

Wer wollte, konnte die schrillen Töne im Um- und Vorfeld allerdings glatt überhören. Versteckte Berichte in der Lokalpresse, Andeutungen in (zwei von drei) gedruckten Grußworten und dann noch diese fast unscheinbare Protestiererschar vor dem Saalbau, dem Hauptveranstaltungsort der Kammermusik-Tage. Utensilien wurden hochgehalten, denen Tonkünstler ohnehin weitgehend reserviert gegenüberstehen: Fahnen, Transparente, Pappschilder. Versammelt hatte sich ein Häuflein Aufrechter und Besorgter. Mitglieder einer örtlichen Bürgerinitiative („Wittener Forum für das Recht auf Kultur und Stadt“) und Gewerkschaftler brachten ein Informationsblatt zur Verteilung, sprachen mit (aus allen Wolken fallenden) Festivalteilnehmern. Ein Komponist (Gerhard Haugg) und ein ver.di-Funktionär hielten je eine Rede und ein Hund ein Schild um den Hals: „Ich will nicht, dass die Musik auf den Hund kommt.“

Wem fehlt was?

Bliebe zu klären, wem sie jetzt fehlen, die 70.000 Euro? Eine Frage, die sich der Finanzierungslücken-Verursacher wohl am wenigsten vorlegen wird. Immerhin ist für die Bezirksregierung Arnsberg alles denkbar glatt gelaufen: Erstens „überflüssige“ respektive „ungesetzliche“ Ausgaben verhindert und zweitens ist die Maßnahme ja doch zustande gekommen! Will sagen: Ein wenig die Daumenschrauben angezogen und siehe da, noch immer ist Luft im Kessel der „freiwilligen“ Leistungen… Was man in Köln beim zahlenden Haupt-Veranstalter WDR mit Sicherheit anders sehen wird. Dort nämlich ist schon jetzt klar, dass der unfreiwillige Zuschuss der Festival-Ausgabe 2012 ein Loch gerissen hat – in den Neue Musik-Etat des verantwortlichen Redakteurs Harry Vogt nämlich.

Soviel darf man getrost prophezeien: das Thema wird bleiben, was schon allein daran liegt, dass die Stadt Witten den sparkommisarischen Vorgaben des Landes (26 Mio p.a.) nicht wird nachkommen können, worin sind sich mehr oder weniger alle Beteiligten einig sind. Nur, wie weiter, vor allem mit Blick aufs Kammermusikjahr 2013? Werner Wittersheim, Chef der Programmleitung WDR3, gab sich am Rande des Festivalgeschehens gleichwohl verhalten optimistisch. Man wolle sich „in den nächsten Wochen zusammensetzen“. Das könne ja gar nicht sein, so Wittersheim, dass die Wittener Tage, die im Kern schon vor dem Einstieg des WDR existierten, als Streichkonzert zu Ende gingen.

Diskussionsveranstaltung des „Wittener Forum für das Recht auf Kultur und Stadt“: 4. Mai 18 Uhr, Haus Witten
Informationsveranstaltung mit Stadtpolitikern zum Haushalt 2012: 14. Mai 19 Uhr, Haus Witten
Näheres zur künstlerischen Bilanz der Wittener Tage 2012 in der nächsten print-Ausgabe der neuen musikzeitung

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