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Streiken bis das Opernhaus schließen muss

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Auf in den Arbeitskampf: in Paris, Stuttgart, München und andernorts ·
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Die wachsenden sozialen Spannungen selbst in wohlhabenden Ländern berühren auch die Kunst. Wenn öffentliche Bedienstete sich mit Hilfe ihrer Gewerkschaft dagegen wehren, womöglich ein oder zwei Stunden mehr pro Woche zu arbeiten, wenn, wie in Paris, Studenten gegen die Reduzierung des Kündigungsschutzes revoltieren und dabei gewerkschaftliche Unterstützung erfahren, dann wird auch jener Bereich der Kunst davon tangiert, der ohne Personal nicht funktionieren kann, sprich: die Theater, die Opern- und Konzerthäuser.

Streiks gehören zu einer freien Gesellschaft, zur Demokratie also. Es gibt ein Recht auf Streik. Aber wie weit darf dieses Recht ausgeübt werden? Die Überstrapazierung eines Rechtsanspruchs kann genau ins Gegenteil umschlagen: in die Zerstörung, die niemandem mehr nutzt. Der Musikbetrieb hat für diese zwiespältige Situation in letzter Zeit signifikante Beispiele geliefert. In Paris wird die Uraufführung von Kaija Saariahos neuer Oper „Adriana Mater“ quasi in letzter Minute durch das technische Bühnenpersonal verhindert. Dieses solidarisiert sich samt ihrer Gewerkschaft mit den protestierenden Studenten. Mehr als über hundert Kritiker aus aller Welt sind vergeblich angereist. Das Pariser Publikum trifft’s insofern nicht so hart, weil es aus eigentlich vergangen geglaubten Zeiten solche Situationen gewohnt ist und gleich ins Restaurant gehen kann.

Im vordem einstmals halbwegs geordneten Deutschland häufen sich ähnliche „französische“ Zustände. Die wochenlangen Streiks im öffentlichen Dienst in mehreren Bundesländern treffen besonders die Musikbühnen äußerst schwer. Der Münchner Opernintendant Sir Peter Jonas kritisiert am Ende seiner erfolgreichen dreizehnjährigen Amtszeit Gewerkschaften ebenso wie die politisch Zuständigen, dass sie es nicht schaffen oder schaffen wollen, einen Streik in angemessen kurzer Zeit mit einem Kompromiss zu beenden. Der finanzielle Schaden für das Opernhaus ist beträchtlich, die Situation der vielen Mitarbeiter hinter den Kulissen verschlechtert sich mit jedem Tag mehr statt sich zu verbessern, weil neue Einsparungen zuerst immer den Personalbestand treffen.

Ähnliche Klagen vernimmt man aus Stuttgart. Klaus Zehelein muss am Ende seiner fast fünfzehnjährigen Intendantenzeit erfahren, dass selbst Erfolg und höchstes künstlerisches Niveau ein Theater nicht davor bewahren, zum Spielball tariflicher Kleinkriege zu werden, denn etwas anderes als ein Kleinkrieg ist der unsägliche Streit um die Wochenarbeitszeit im öffentlichen Dienst nicht. Das Hauptopfer wurde dabei der französische Komponist Gérard Pesson. Die Uraufführung seiner Oper „Pastorale“ konnte nur konzertant erfolgen. Eine mehrjährige anstrengende Vorbereitung endete in einem Behelf, der allerdings dank des couragierten Einsatzes aller Künstler und Musiker zu einem spannenden Erlebnis wurde.

Die Situation ist komplex und kompliziert, mit aufgeregten Kommentaren wenig zu ändern. Aber einiges sollte bei allem doch bedacht werden. Solange unsere Bühnen noch partiell zum öffentlichen Dienst gehören, besteht auch ein Recht auf Streik. Aber dieses Recht bedarf der richtigen Anwendung, mit Augenmaß auf die besondere Struktur der Theaterarbeit, aber auch auf das, nennen wir es einmal geistiges Produkt, das ein Theater herstellt. Wenn ein Streik der Bühnentechnik eine ausverkaufte Repertoirevorstellung von „La Bohème“ trifft, kann man dies im Rahmen einer speziellen Verhältnismäßigkeit der Mittel noch akzeptieren. Wenn vier Wochen Vorstellungen ausfallen, droht ein Schaden, der nur bedingt noch durch das Streikrecht gedeckt erscheint. Fatal wird es jedoch, wenn, wie in den genannten Fällen, das Erscheinen eines neuen Werkes verhindert wird oder nur in reduzierter Form erfolgen kann. Das trifft nicht nur die „Arbeitgeberseite“, sondern am meisten den schöpferischen Künstler selbst. Man möchte nicht einmal so genau wissen, was im Inneren von Kaija Saariaho oder Gérard Pesson vorgegangen ist, wenn die äußerste seelische Anspannung vor der „Geburt“ ihres neuen Werkes plötzlich gleichsam in sich selbst zusammenfällt. Es ist die Missachtung der geistigen Leistung, die einen bei solchen Vorgängen empört und zugleich tief deprimiert.

Und wenn zuständige Gewerkschaften und auch die öffentliche Arbeitgeberseite die akuten Vorfälle zum Anlass nähmen, über das Problemfeld Arbeitskampf, Theaterbesonderheit und Schutz geistiger Leistungen einmal gründlicher nachzudenken und zu diskutieren und die Ergebnisse des Nachdenkens und Diskutierens in sinnvolle Regeln zu fassen, dann wäre das entstandene Desaster wenigstens in einer Hinsicht noch in einen Vorteil gewendet.

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