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SWR-Fusion

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Widerstand in Freiburg
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Die Diskussionen über die geplante Fusion der beiden Rundfunksinfonieorchester des Südwestrundfunks (SWR) gehen weiter. Widerstand gegen die Verschmelzung der beiden Klangkörper zu einem großen Orchester mit Sitz in Stuttgart regt sich vor allem beim Orchester in Baden-Baden/Freiburg, während die Stuttgarter Musiker sich offensichtlich opportunistisch mit ihrem Schicksal abgefunden haben: Ein trostloses Verhalten, typisch für kollektive Vereinigungen.

Auf einer Orchesterversammlung der SWR-Sinfoniker Baden-Baden/Freiburg, zu der sich auch Demonstranten einfanden, gingen die Wogen hoch. Der neu ernannte Orchestermanager Bultmann, der die Fusion vollziehen soll, sah sich heftigen Fragen ausgesetzt. Er wirkte verunsichert. In Stuttgart fand er bei einer ähnlichen Orchesterversammlung dagegen Zustimmung, was einen, siehe Einleitung, nicht weiter verwundert. Ebenso wichtig wie der Protest der Musiker in Baden-Baden/Freiburg ist auch, dass gestandene Bürger des badischen Landes ihre Stimme gegen die geplante Fusion erheben. So geschehen bei einer im Anschluss an ein Konzert angesetzten Publikumsdiskussion. Sie wissen, dass das neue Orches­ter mit Sitz in Stuttgart zwangsläufig eine Verarmung des musikalischen Lebens im badischen Land zwischen Baden-Baden und Freiburg bedeutet – eine Konzertreihe aus Stuttgart, gastweise in Freiburg oder Baden-Baden angeboten, ersetzt nicht die vertraute und produktive Nähe.

Den Musikstudenten an den vier badischen Musikhochschulen, den vielen Musikschulen, an denen Musiker des SWR-Orchesters Baden-Baden/Freiburg den an den allgemeinen Schulen nur noch mangelhaft verabfolgten Musikunterricht kompensierten, wird diese Nähe fehlen. Die neue musikzeitung hat in diesem Sinne in der letzten Ausgabe einen Offenen Brief an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann geschrieben – und „natürlich“ bis heute keine Reaktion feststellen können. Stuttgart 21 und der Baumarkt sind selbstverständlich vorrangig. Es ist schon deprimierend, wie führende Politiker heutzutage auf das Reizwort „Hochkultur“ reagieren – nämlich gar nicht.

Wir, die Herausgeber und Redakteure der nmz, können nur noch einmal die schon oft vorgetragenen Argumente für den Erhalt der beiden SWR-Orchester wiederholen, wobei nicht verschwiegen werden soll, dass uns die Existenz des Baden-Baden/Freiburger Orchesters besonders am Herzen liegt. Dieses Orchester hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg um das deutsche Musikleben mehr als verdient gemacht – allein der Einsatz für die Neue Musik ist ein Kunstwert für sich. Es  hat dabei unter hochrenommierten Dirigenten wie Hans Rosbaud, Ernest Bour, Michael Gielen , Sylvain Cambreling und jetzt François-Xavier Roth eine unverwechselbare Individualität und eine einmalige spieltechnische Perfektion gewonnen. Das alles bedeutet für das Orchester, dass es einen autonomen Kunstwert besitzt, der, wie in der Bildenden Kunst oder der Architektur, einen schützenswerten „Gegenstand“ darstellt, der nicht durch Intendantenwillkür und eher zweifelhafte Sparzwänge zerstört werden kann.

Das Orchester selbst, die Freunde des Orchesters, vielleicht auch einige Städte in Baden, die Deutsche Orchestervereinigung (DOV), der Deutsche Musikrat, nur als Beispiele, sollten vielleicht doch den Schritt zur juristischen Entscheidung suchen, notfalls bis zum Verfassungsgericht, das letztlich für die „Würde des Menschen“ und damit auch eines jeden Orchestermusikers zuständig ist. Und: was ist mit der Gründung einer Förderstiftung für die beiden Orchester? Eine solche Stiftung könnte den Etat des SWR-Senders für die Orchester entlasten und die Exis­tenz beider Ensembles sichern. Beweglichkeit ist gefragt, vor allem in den Köpfen, auch der Intendanz.

PS: Soeben ist in der Dokumentationsreihe des SWR eine CD erschienen, auf der ein Liederabend der Sängerin Marylin Horne festgehalten ist, den diese anno 1992 bei den Schwetzinger Festspielen gegeben hat. Eine hinreißende Aufnahme mit ausschließlich Rossini-Liedern und -Arien, ebenso perfekt begleitet vom Pianisten Martin Katz. Im Begleitbuch liest man dazu auch ein Vorwort des neuen SWR-Hörfunkdirektors Gerold Hug: ein fast schon hypertropher Lobgesang auf die Schwetzinger Festspiele und den eigenen Sender, der dieses Festivals seit rund sechzig Jahren veranstaltet. Einen solchen Hymnus würde man gern auch einmal über die beiden Orchester des SWR, auf ihre Leistungen für die Musik, ihren Einsatz für die Moderne lesen. Aber der neue Hörfunkdirektor eifert, gehorsam seinem Intendanten ergeben, seinem unmittelbaren Vorgänger im Amte, Bernhard Hermann, nach, der bei seiner Verabschiedung in die Pensionierung von Intendant Boudgoust für sein „Meisterstück“ (die Orchesterfusion) gerühmt wurde.

Allmählich verstärkt sich der Eindruck, dass sich in der Chefetage des SWR Bewusstseinsspaltungen einnisten, nach einem alten Politikerwort welches sagt: Was kümmert mich heute der Mist, den ich gestern gesagt habe. Das solche Leute dann noch von ihrem Rundfunkrat Zustimmung erfahren, ist der nächste Skandal.

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