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 Bert Brechts / Paul Dessaus „Deutsches Miserere“ an der Oper Leipzig. Foto: Oper Leipzig, Kirsten Nijhof
Gabi Dauenhauer in Bert Brechts / Paul Dessaus „Deutschem Miserere“ an der Oper Leipzig. Foto: Oper Leipzig, Kirsten Nijhof
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Szenische Erstaufführung: Brechts / Dessaus „Deutsches Miserere“ an der Oper Leipzig

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Bertolt Brechts und Paul Dessaus Antikriegsoratorium „Deutsches Miserere“ provoziert Nachdenken über deutsche Geschichte, schärft die Sinne für Gegenwärtiges und Künftiges. An der Oper Leipzig wird das beeindruckende Werk nun erstmals szenisch umgesetzt – als „Versuch über die Möglichkeit zu trauern“. Regisseur Dietrich W. Hilsdorf, Bühnenbildner Dieter Richter und Kostümbildnerin Renate Schmitzer setzen ihre bewährte Zusammenarbeit auch bei dieser Ausnahmeproduktion fort, die musikalische Leitung liegt in den Händen des argentinischen Dirigenten Alejo Pérez.

Neben den Solisten Katja Beer, Karin Lovelius, Dan Karlström und Peteris Eglitis, der Schauspielerin Gabi Dauenhauer, dem Kinderchor und dem Gewandhausorchester hat vor allem der Opernchor in diesem Stück außergewöhnlich große und anspruchsvolle Aufgaben zu bewältigen.

Das „Deutsche Miserere“, Brechts und Dessaus erstes großes Gemeinschaftswerk, entstand zwischen 1943 und 1947 im US-amerikanischen Exil. Aus der eigenen Beschämung darüber, welches Leid Deutschland über die Welt gebracht hatte, wollten die beiden Autoren ein Kunstwerk schaffen, das ihren Landsleuten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges helfen sollte, die unmittelbare Vergangenheit zu reflektieren und nach Gründen für das Geschehene zu suchen. „Dies sind die Städte, wo wir unser ‚Heil!’ / Den Weltzerstörern einst entgegenröhrten. / Und unsere Städte sind auch nur ein Teil / Von allen Städten, welche wir zerstörten“, heißt es in einem von 29 Vierzeilern aus Bertolt Brechts Kriegsfibel, die den Hauptteil des dreiteiligen Oratoriums bildet. Kraft seiner Bestimmung fordert uns das Werk auch heute und nicht zuletzt im Zusammenhang mit der sich jährenden Zerstörung Dresdens zur Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg, Schuld und Sühne auf – am 13. Februar wird das „Deutsche Miserere“ zum zweiten Mal an der Oper Leipzig aufgeführt.
 
Nach seiner Rückkehr aus dem Exil 1948 musste Paul Dessau feststellen, dass es keineswegs leicht war, das Stück zur Uraufführung zu bringen. Eine Konfrontation und Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus in einer Weise, wie sie das „Deutsche Miserere“ fordert, indem es die Rolle der Deutschen als Opfer und Täter thematisiert und reflektiert, fand in der DDR ebenso wenig statt wie in der Bundes­repu­blik. 1950/1951 plante der damalige Gewandhauskapellmeister Franz Konwitschny die Uraufführung des „Deutschen Miserere“ in Leipzig. Doch die etwa gleichzeitig auf höchster staatlicher Ebene entbrannte De­batte um die Uraufführung von Brechts und Dessaus Oper „Die Verurteilung des Lukullus“ an der Berliner Staatsoper rückte eine Aufführung des sich eindeutiger Vereinnahmung entziehenden „Deutschen Miserere“ in weitere Ferne. Erst die historische Distanz gestattete die Uraufführung. Annähernd 20 Jahre nach seiner Entstehung wurde das Werk am 20. September 1966 im Rahmen der „Tage zeitgenössischer Musik“ und des Internationalen Musikwissenschaftlichen Kongresses der Gesellschaft für Musikforschung in Leip­zig unter der Leitung von Herbert Kegel uraufgeführt. Die westdeutsche Erstaufführung fand 1989 in Hamburg statt. Insgesamt gab es nur vereinzelte Aufführungen, zuletzt mit der Berliner Singakademie im März vergangenen Jahres im Konzerthaus Berlin.

Noch nie wurde das Oratorium szenisch umgesetzt. Dieser Aufgabe stellt sich nun an der Oper Leipzig der Regisseur und FAUST-Preistträger Dietrich W. Hilsdorf, der mit seinen Inszenierungen, u. a. mit einer Serie von Händel-Oratorien an der Oper Bonn, mit der Deutschen Erstaufführung der Eötvös-Oper „Love and Other Demons“ in Chemnitz, mit Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ in Köln und zuletzt mit Händels „Hercules“ in Essen für das Musiktheater Maßstäbe setzt. In Leipzig brachte er bisher mit Erfolg Mozarts „Entführung aus dem Serail“ und „Janáčeks Jenůfa“ auf die Bühne.
 
Mit Alejo Pérez übernimmt ein bekannter Interpret zeitgenössischer Musik die musikalische Leitung dieser Produktion. Pérez ist musikalischer Leiter des Teatro Argentino de La Plata, gastiert regelmäßig bei den führenden argentinischen Orchestern und arbeitet auch in Europa mit den wichtigsten Orchestern und Ensembles wie dem NDR Sinfonieorchester, dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, der Dresdner Philharmonie, dem Orchestre Philharmonique de Radio France, dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin und dem Ensemble Modern. Eine enge Zusammenarbeit verbindet Alejo Pérez mit dem Komponisten Peter Eötvös, dessen Opern „Angels in America” (Théâtre du Châtelet Paris) und „Lady Sarashina” (Opéra de Lyon und Opéra Comique Paris) zu Uraufführung brachte. Eötvös' Oper “Love and Other Demons” leitete er 2008 in einer Produktion des Glyndebourne Festivals an der Nationaloper Litauen. Des Weiteren dirigierte Alejo Pérez u.a. „L'espace dernier” von Matthias Pintscher an der Opéra Bastille, eine Neuproduktion von Henzes „Pollicino” an der Opéra de Lyon, Rihms „Jakob Lenz” in Antwerpen sowie Bruno Madernas „Satyricon” in Buenos Aires.
 
Rahmenprogramm zur Szenischen Erstaufführung des „Deutschen Miserere“
Im Round-Table-Gespräch am Tag der Premiere um 15.00 Uhr (Konzertfoyer) werden Fragen nach Schuld und Sühne, die das „Deutsche Miserere” thematisiert, aus historischer, psychologischer und theologischer Perspektive beleuchtet. Eingeladen sind Prof. Dr. Peter Petersen (Lehrstuhl Musikwissenschaft, Universität Hamburg), Daniela Reinhold (Musikwissenschaftlerin, Dessau-Archiv der AdK Berlin), Dietrich W. Hilsdorf (Regisseur des Deutschen Miserere), Maxim Dessau (Regisseur, Sohn von Paul Dessau und Ruth Berghaus), Dr. Hans-Joachim Maaz (Psychotherapeut, Halle a.d.Saale), Dr. Mathias Berek (Kulturwissenschaftler, Lehrbeauftragter an der Universität Leipzig), Prof. Dr. Rüdiger Lux (Lehrstuhl Altes Testament, Universität Leipzig) und Friedrich Magirius (ehemaliger Superintendent des Kirchenbezirks Leipzig-Ost).
 
Im Rahmen der szenischen Erstaufführung des „Deutschen Miserere” haben Studierende der Theaterwissenschaft der Universität Leipzig Vorträge erarbeitet, in welchen sie sich kritisch mit dem Werk auseinandersetzen. Umrahmt werden die Beiträge am 13. Februar, um 15.00 Uhr (Mozart-Foyer, Treffpunkt Bühneneingang) von Brecht-/Eisler-Liedern, vorgetragen von Studierenden der Hochschule für Musik und Theater.

OPER LEIPZIG Bertolt Brecht / Paul Dessau: „Deutsches Miserere“ – Versuch über die Möglichkeit zu trauern
Szenische Erstaufführung: 11. Februar 2011,19.30 Uhr Opernhaus

Weitere Aufführungen: 13. Februar / 27. März / 10. April / 5. Juni 2011

Round-Table: Erinnerungskultur und Musikalische Trauerarbeit, 11. Februar, 15 Uhr (Konzertfoyer)

Vorträge von Studenten der Theaterwissenschaft der Leipziger Universität zum „Deutschen Miserere”, 13. Februar, 15 Uhr, Opernhaus (Eingang Goethestraße)


Besucherservice: Tel. 0341. 1261 261 oder www.oper-leipzig.de

 

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