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Tannhäuser zum Dritten mit neuer Schubkraft: Assoziationen anlässlich der letzten Premiere von Sebastian Baumgartens Inszenierung in Bayreuth

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Ungewöhnlich früh für Bayreuther Laufzeiten soll Sebastian Baumgartens Bayreuther Inszenierung des „Tannhäuser“ bereits mit diesem dritten Jahr ihr Ende finden. Ästhetisch bildet diese Arbeit eine Linie, die mit Christoph Schlingensiefs Inszenierung des „Parsifal“ begann und derzeit in Frank Castorfs „Ring“-Inszenierung gipfelt und noch mit einer Neuinszenierung des „Parsifal“ durch Jonathan Meese fortgesetzt werden soll.

Alle Regisseure waren oder sind verbunden mit der Berliner Volksbühne am Rosa Luxemburg-Platz. Dramaturg bei Schlingensief, wie bei Baumgarten, war und ist Carl Hegemann, und beide Regisseure arbeite(te)n mit bakteriellen Projektionen. Die „Tannhäuser“-Inszenierung beginnt gar mit einer Projektion von Röntgen-Lungenflügeln, wie die Uraufführung von Walter Braunfels’ Oper „Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna“ durch die Schlingensief-Faktory. Und diese Oper erlebte in diesem Jahr parallel zur Bayreuther Premiere von Wagners großer romantischer Oper ihre (konzertante) Erstaufführung bei den Salzburger Festspielen.

Die Frage der Fassungen

Die Aufführungsgeschichte des „Tannhäuser“ in Bayreuth beruft sich seit dem Neubayreuth der Enkel des Komponisten gerne darauf, dass Wagner in seiner letzten Lebensphase selbst gemeint hatte, der Welt noch einen Tannhäuser schuldig zu sein. Wieland Wagner und nach ihm Götz Friedrich mixten daher das Bacchanale der Pariser Fassung mit der zweiten der Dresdener Fassungen, Wolfgang Wagner und Philippe Arlaud beschränkten sich in ihren Inszenierungen hingegen auf die zweite Dresdener Fassung.

Richard Wagners Fassung letzter Hand, die Wiener Fassung, die aus dem Französischen rückübersetzte und erneut kompositorisch veränderte Version, wurde in Bayreuth jedoch zuletzt im Jahre 1930 von Siegfried Wagner inszeniert und von Arturo Toscanini dirigiert. Der Festspielleiter bekannte damals:

„Was meinen Vater zu der zweiten großen Fassung der Venusbergszene bewog, war nicht die Große Oper, sondern die Erkenntnis, dass er damals, als er den Tannhäuser komponierte, für eine [...] Heraufbeschwörung der Antike technisch noch nicht reif war. [Hierfür...] musste er die Tristantechnik sich erworben haben. Ich möchte sagen, es fehlten auf der Palette die tizianisch-rubensschen Farben. Allerdings kann man mit Recht sagen, dadurch seien gewissermaßen zwei Stile im Tannhäuser vereinigt, der üppige Rubensstil und der strenge Holbeinstil des übrigen Werkes. Doch dies ist zu rechtfertigen aus der Dichtung. Frau Venus und ihr phantastisches Reich will andere Farben als das ruhige, harmlose Wartburgtal, und so ist diese scheinbare Stilverworrenheit aus dem Dichterischen bedingt und gerechtfertigt. Kleinere Bühnen allerdings, das gebe ich zu, tun leichter, die erste Fassung auszuführen.“ (Nachzulesen in der aktuellen Bayreuther Ausstellung „Vater Du verfluchst mich?“ – Siegfried Wagners Richard Wagner-Rezeption, noch bis 22. 12. 2013).

Die Pariser Fassung in Originalsprache ist trotz aller Europäisierung in Deutschland nie gespielt worden und sie steht auch in Frankreich – der Globalisierung des Sängermarktes geschuldet – nicht auf dem Programm. In Bayreuth erklang die umfangreiche Venus-Szene in Wagners originaler Vertonung, mit ganz anderen Melodiebögen als in der Rückübersetzung, erstmals am Vorabend der Festspieleröffnung, interpretiert von der amerikanischen Sopranistin Rebecca Broberg, begleitet von Ulrich Urban, in einem Konzert der Klaviermanufaktur Steingraeber & Söhne.

Der Premieren-Dirigent der aktuellen Bayreuther Inszenierung, Thomas Hengelbrock, hätte im Sommer 2011 lieber die Urfassung des Werkes – ohne das erneute Erscheinen der Venus im dritten Akt – realisiert, wie sie Wieland Wagner in Stuttgart aufgeführt hat. Aber er musste doch mit der gängigen, zweiten Fassung der Partitur Vorlieb nehmen, die er mit mehreren Kürzungen zur Aufführung gebracht hat. Im vergangenen Jahr folgte ihm als „Tannhäuser“-Dirigent Christian Thielemann, mit der strichlosen Version, aber leider keineswegs einhergehend mit einer Steigerung der Gesamtwirkung.

Axel Kober, neuer Tannhäuser-Dirigent

Als Dritter am Pult jenes magischen Abgrunds, für welchen diese frühe Wagner-Partitur nicht gedacht war, aber doch gut geeignet erscheint, ist erstmals ein Dirigent aus Franken, Axel Kober. Mit ihm als Partner, der die Vorspiele mit Intensität erfüllt und das breite zweite Finale spannend aufbaut, hat die ungewöhnliche szenische Sicht neue Schubkraft gewonnen. Im Zusammenspiel mit diesem Dirigenten erscheint Baumgartens Personenführung als eine sehr präzise, musikalisch exakt Themen und Akzente in eine heutige, durchaus witzige Theatersprache überführende Arbeit. Unatmosphärisch ist und bleibt allerdings die unpoetisch bunte Versuchsanordnung in Joep van Lieshouts Biogasanlage. Die Dramaturgie hat die Szenen der Oper in acht Kapitel unterteilt, von „Laichzeit“ über „Waidmanns Lust“, „Herzleid“ und „Der Meister“, bis zu „Die Sonne“.

Diese Überschriften werden – über einer busenfreien Madonna mit wippenden Füßen – im Brechtscher Manier als Texte projiziert. Der Umgang mit dem Lebensmittel Alkohol aus dem Alkoholator des geschlossenen JVL-(Joep van Lieshout)-Ökosystems schlägt den Bogen zu der neuen „Ring“-Inszenierung, in der die Handlungsträger häufig alkoholisiert dargestellt sind. Dabei mangelt es im „Tannhäuser“ (wie auch im aktuellen „Fliegenden Holländer“) nicht an Slapstick-Bewegungen von Chor und Solisten, die Richard Wagners Idee der Komödie der „Meistersinger“ als Satyrspiel auf die Sängerkrieg-Handlung gleich im „Tannhäuser“ mit abhandeln. Der auch in der Wartburg anwesende Hirte (Katja Stuber) erweist sich so als ein Möchtegern-Raufbold, der daher für Tannhäuser Partei ergreift.

Camilla Nylund als Elisabeth und Michael Nagy als Wolfram überzeugen gleichermaßen in ausgelassener Verrücktheit und Skurrilität, wie in gesanglicher Präzision und Ausdrucksstärke. Nachdem die zuvor schon gerne mit dem Suizid spielende Elisabeth sich selbst im Tank zur Erzeugung von Biogas entsorgt hat, tanzt Wolfram mit Venus, als dem von ihm besungenen Abendstern, Walzer. Köstlich profiliert ist Michelle Breedt, mit Augenzwinkern und viel Witz, die von Tannhäuser hochschwangere Venus, welche als geduldeter Gast auch am Sängerkrieg teilgenommen hat.

Als schockierende Innovation erfolgte im Jahre 1930 in Siegfried Wagners Inszenierung bei Tannhäusers Loblied auf Venus die Verwandlung des Wartburgsaals in den Venusberg. Die damals mit „Venus-Licht“ erzeugte Veränderung wird in Baumgartens Inszenierung aufgegriffen und technisch perfektioniert neu ins Bild gerückt, indem der unterirdische Käfig der Lustbarkeiten von Venus in die Wartburg-Runde aufsteigt. Aufgrund seines Geständnisses muss Tannhäuser, mit seiner Krawatte gefesselt, eine Klobank besteigen und wird sodann an einem Haken hochgezogen. Torsten Kerl meistert die Titelpartie stimmlich beachtlich, mit rüpelhaften Frechheiten und komischem Draufgängertum. Günther Groissböck, als Landgraf stimmlich eine Wucht, muss sich massiv gegen die Anbiederungsversuche des von ihm verstoßenen Außenseiters zur Wehr setzen.

Heinrich der Schreiber – in diesem Sommer neu besetzt mit Stefan Heibach – lässt sich vom wiedergekehrten Tannhäuser diverse Verträge unterzeichnen und jubelt dem in Elisabeth neu Verliebten dabei auch einen Blankoscheck unter. Auch die weiteren Minnesänger – Lothar Odinius als Walther von der Vogelweide, Thomas Jesatko als Biterolf und Martin Snell als Reinmar von Zweter, überzeugen – teils choreographisch, teils individuell geführt – in Zusammenspiel und Zusammenklang.

Wie in den beiden Vorjahren wird in den einstündigen Opernpausen von der Statisterie weiter gespielt und gesungen, wird Gemüse verarbeitet, werden Exkremente abgesaugt, Methan- und Biogas gewonnen, der Alkoholator geputzt, geschlafen und eine de Sade-Lieshout-Wagner-Messe zelebriert. Im Finale feiert der rot gewandete Frauenchor den soeben geborenen Knaben der Venus. Gemahnend an Richard Wagners letzte Aufzeichnung „Über das Weibliche im Menschen“, wonach die Emanzipation des Weibes nur unter ekstatischen Zuckungen vor sich gehe, agieren die Gefolgsleute der Liebesgöttin in dämonischen Zuckungen, animalisch gewandet.

Tiere waren im „Tannhäuser“ zuvor letztmals zu sehen in der Inszenierung Siegfried Wagners im Jahre 1930 (verharmlost wiederholt im Sommer 1931 und dann als moralisch verwerflich abgesetzt). In seinem Bacchanale, choreographiert vom linken Avantgardisten Rudolf Laban, konnte das Publikum – basierend auf Richard Wagners Schilderung gegenüber Mathilde Wesendonck – Vereinigungen von Leda mit dem Schwan und Europa mit dem Stier ebenso bestaunen, wie die getreu Wagners Anweisung erfolgte, konsequente Umsetzung einer der ersten Geräuschpartitur-Anweisungen in der Musiktheater-Geschichte: den Hörnern der Jagdgesellschaft antwortete das Gebell einer eigens einstudierten Hunde-Meute.

Am Tag der diesjährigen „Tannhäuser“-Premiere blieben einige Besucher, die ihre Karte verkaufen wollten, erfolglos, während üblicherweise Kartensuchende mit entsprechenden Bittschildern rund ums Festspielhaus anzutreffen sind; dies mag als Indiz dafür gelten, dass die Produktion auch beim dritten Anlauf ihr Publikum (noch) nicht erreicht hat. Die Besucher auf den beiden Bühnenseiten und im Auditorium des Festspielhaus geizten am Ende nicht mit Beifall und Bravorufen für den neuen Dirigenten, für den von Eberhard Friedrich trefflich einstudierten Festspielchor und für die Solisten, während sich in den Applaus für Sebastian Baumgarten und seine Kostümbildnerin Nina von Mechow massive Buhrufe mischten.

Die nächsten Aufführungen: 4., 7., 12., 18. und 28. August 2013.

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