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Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald
Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald
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Theos Kurz-Schluss – Wie ich einmal als bildungsbeflissener, ehrlicher Digitalvisionär am Bundeswirtschaftsministerium zerschellte

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Man soll ja doch ab und an mal ehrlich sein. Schon um im Unterschied zu zahlreichen sogenannten „aktiven“ Politikern und katholischen Oberbossen Glaubwürdigkeit zu bewahren. Was sich da beispielsweise der Hallenser Oberbürgermeister oder Augsburgs Bischof und viele weitere selbsternannte VIPs an betrügerischer Erschleichung vorzeitiger Corona-Impfungen geleistet haben, sollte zu flotten Abschiebungen all dieser Möchtegern-Schlitzohren in belarussische Bleibergwerke Anlass geben. Welche Werte werden da ansonsten sozusagen im Distanzunterricht unseren Kindern und Jugendlichen vermittelt? Da könnte man statt des Grundgesetzes gleich den Gesellschaftsvertrag von „Blackwater“ oder der Deutschen Bank als bundesrepublikanische Rechtsgrundlage installieren. [Vorab aus Politik & Kultur 2021/03]

Solcher institutioneller, körperlicher und moralischer Demontage möchte ich mich keinesfalls aussetzen und halte mich an das alte Sprichwort „Ehrlich sein ist manchmal auch nicht falsch“. Insofern gebe ich ganz offen zu, dass mein in der Ausgabe 2/21 dieser Kulturzeitschrift beschriebenes Engagement für eine optimale digitale Versorgung unseres Bildungswesens von der Krippe bis zur Palliativstation nicht nur einer ideellen Getriebenheit geschuldet war, sondern auch meinen Schulden beim Finanzamt und beim Bäcker. Ideenreiches Kleinunternehmertum als bescheidener Existenzrettungsring in diesem Lügensumpf von materiellen angeblichen Hilfsprogrammen (dazu später noch ein Beispiel) ist doch gerade in diesen Zeiten Licht der Hoffnung am Ende des Tunnels – um im aktuellen Schönsprech politisch mal korrekt mitzuschwimmen.

Völlig unverständlich deshalb nach all meinen fantasievollen, perspektiv- intensiven Vorschlägen zur medialen Renovierung der technologischen Mottenkiste namens „Lernplattform Mebis“ des „Bayerischen Kultusministeriums“ mein schnöder Rauswurf durch die von Minister Piazzolo (Freie Wähler, haha) beauftragte Reinigungskraft mittels eines Reisigbesens. Eine Chance hätte ich angeblich gehabt, wenn ich die Finanzierung meiner Pläne persönlich zu garantieren in der Lage gewesen wäre. Ja, hätte ich vielleicht das Finanzamt anpumpen sollen (das meine Stundungsanträge seit elf Jahren konsequent ablehnte)?

Nur gut, dass ich meinen Hölderlin gründlich studiert und verinnerlicht habe. Sie wissen schon – der Kernsatz aus der Hymne „Patmos“: „Wo aber Gefahr ist ...“ wuchs mir scheint’s das Rettende beim ansonsten gähnend langweiligen Studium des Internetauftrittes unseres Bundeswirtschaftsministeriums zu. Da wurde ein üppiges Förderangebot zum Auf- und Ausbau digitaler Strukturen gerade für kleine Firmen, auf Start-ups wie mich zugeschnitten, ausgelobt. Also quälte ich mich durch den 400-seitigen, offensichtlich wörtlich aus dem Altgriechischen übersetzten Beschreibungstext für die Voraussetzungen einer möglichen Antragsstellung und landete bei einigen Links. Der erste führte mich zur Wikipediaseite namens Antrag: Unter anderem wurde mir das Nachdenken über den Satz „Drum prüfe, wer dich ewig bindet“ empfohlen … Danke.

Der zweite Link verband mich mit der Abbuchungsseite von „Amazon smile“. Unter dem Hinweis, alle meine persönlichen Daten seien ja bekannt und schon eingetragen, ich bräuchte nur noch dieses Browserfenster zu schließen, um dem notleidenden Bayerischen Kultusministerium 1.000 Euro zu überweisen, würde sich ein weiterführendes Fenster öffnen, das mir sicherlich bei meinem Anliegen sehr hilfreich sei. Im Rahmen meiner Verzweiflung und wohl wissend, dass mit der Abbuchung des Eintrittsgeldes gemäß der Gebrauchsanweisung das Limit meines Sparkassenkontos definitiv ausgereizt ist, schloss ich das Fenster – und schwupps: Ein bunt animierter, musikalisch mit der „Ode an die Freude“ unterlegter Videostream öffnete sich: „Play Windhundrennen und WIN“ flackerte über den Bildschirm. Dann hoppelte ein üppigbäuchiger Dackel, auf den der Kopf von Wirtschafts- und Energieminister Peter Altmaier montiert war, überraschend energetisch im Karree über den Bildschirm. „Fein, dass Sie sich für die digitale Entwicklung und Förderung Ihres Unternehmens bewerben wollen“ – bellte es aus dem Lautsprecher meiner schon etwas betagten Pentium-Workstation. „Sie sind nur noch ein paar Ministeps von den Bewerbungsunterlagen entfernt. Bitte füllen Sie zunächst die unten angehängten Felder aus“.

Nicht faul scrollte ich in die vorgeschriebene Richtung – ein erstes freies Feld, in das Parteizugehörigkeit, Konfession, Blutgruppe, Geschlecht, Geburtsdatum, Bildungsweg, Vor- und Nachname, digitale Vorerfahrungen, Facebook-, Instagram-, Tinder-, YouPorn-Abos und eventuell eigene Webseiten einzutragen waren. Es folgte der Hinweis, dass Geschwindigkeit zwar keine Hexerei sei, aber nötig zum Erfolg dieses Antrages. Deshalb „Windhund-System“.

Im zweiten Feld hatte ich die Gelegenheit, neben meinen langjährigen Erfahrungen mit Internetpräsenzen und pädagogischen Webauftritten auch meine bereits in Angriff genommenen Planungen und  digitalen Visionen ausführlich darzulegen. Gemacht und abgeschickt. In schlichter Schrift folgte die Aufforderung: „Prüfen Sie Ihren Maileingang“.  Gern. Da war zwar noch nix, aber acht Stunden später kam tatsächlich eine Nachricht vom Wirtschaftsministerium: „Gratulation, Herr Geißlertheo, Ihre Bewerbung um die Bewerbungsunterlagen in Sachen Digitalförderung Ihrer Firma wird bei der Auslosung der möglichen Bewerber im November kommenden Jahres berücksichtigt. Leider können wir Ihnen keine Hoffnung auf Teilnah­me an der Bewerbung machen, da Sie regelwidrig die Maßnahme bereits begonnen haben. Aber vielen Dank für Ihre Anregungen. Mit einem fröhlichen ›Zäh wie Leder, flink wie Windhunde‹: Ihr Wirtschaftsministerium.“

  • Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur

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