Aktuell leben wir in einer Zeit zahlloser Unwägbarkeiten. Dieser Zustand ist zunehmend unerträglich. Wird der FC Bayern wieder Deutscher Fußballmeister? Gewinnt Til Schweiger endlich einen Oscar? Schafft es Volkswagen, die technischen Daten des UrKäfers mit seinen Elektromodellen ohne Betrugssoftware zu übertreffen? Und ausgerechnet in dieser Situation – nur drei Schockbeispiele von vielen – stürzt uns auch noch eine politische Partei, die sonst immer als Garant geistiger, körperlicher und seelischer Stabilität galt, in den Orkus zweifelzerätzter Zukunftsangst. Wer wird künftig die Christlich Demokratische Union (CDU) in die Post-Merkel-Ära führen? [Vorabdruck aus Politik und Kultur 2020/12]
Momentan drei höchst unterschiedliche Kandidaten liefern sich einen zumindest im übertragenen Sinn blutigen Konkurrenzkampf. Den definiert die scheidende Nominalchefin – wer den Laden immer noch wirklich schmeißt, muss hier nicht ausgebreitet werden – Annegret Kramp-Karrenbauer zu Recht als egomanisches, typischerweise von männlichen Eitelkeiten getriebenes Gemetzel am Image der staatstragenden Partei.
Da protzt der millionenschwere Blackrock-gestählte Friedrich Merz immer wieder mit populären politischen Patentrezepten, die entweder auf einen Bierdeckel – oder im Feld der Sozial- oder Frauenpolitik – gar auf eine Briefmarke passen. Nordrhein-Westfalens Verbal-Weichspülmeister Armin Laschets politisch-programmatische Aussagen sind so greifbar wie eine Seifenblase, so volatil wie ein Händchen voll Helium. Und wer bitte ist Norbert Röttgen? Na ja, er hat ein Buch geschrieben oder schreiben lassen mit dem Titel: „Deutschlands beste Jahre kommen noch: Warum wir keine Angst vor der Zukunft haben müssen“. Schräger Zweckoptimismus. Gebraucht eins-neunzig bei Amazon. Und er stammt aus Meckenheim. Auch NRW. Wie soll man als Normal-Bürger angesichts solcher Charakteristika tatsächlich Hoffnung schöpfen? Wem kann man sein Vertrauen, seine Sympathie schenken?
Weil ich im Homeoffice gerade eh nichts Besseres zu tun habe, grüble ich. Schöpfe aus dem Fundus meiner jahrzehntelangen Medien- und Marketingerfahrungen eine Reihe von Vorschlägen, wie sich die Kandidatenprofile im teilweise ja vorhandenen Bewusstsein der Bevölkerung schärfen ließen. Meine ersten Gedankenblitze sind in Corona-Zeiten leider unrealistisch. Ich dachte zunächst an eine Art klassisch-olympischen Mehrkampfes vor hunderttausend-köpfigem Publikum im Dortmunder Signal-Iduna-Park-Stadion. Mens und Corpus sollten jeweils auf Sanitas geprüft werden – im direkten Wettkampf, live übertragen von allen Sport- und Kulturformaten der klassischen Medien. Und natürlich auch in den sogenannten „sozialen“ des Internets. Auf Twitter fair und objektiv kommentiert von Olaf Scholz.
Angesichts des Altersunterschiedes und der doch recht unterschiedlichen Intelligenz-Quotienten, ausgeglichen eventuell durch den physischen Zustand – Merz nimmt angeblich „Nahrungsergänzungsmittel“, Röttgen soll CBD-Cremes nutzen, Laschet will ein Peloton-Trainigsrad vor zwei Jahren als „Testgerät“ erhalten haben – wäre die Fitnessfrage vermutlich noch fair zu handeln gewesen. Nun lässt die aktuelle Situation ein solches wirklich aufklärendes Massenspektakel live leider nicht zu. Recht schnell verwarf ich auch die ans legendäre „Millionenspiel“ von Tom Tölle (Drehbuch: Wolfgang Menge, 1970) angelehnte Version eines „Shoot-Outs“ auf der Ruhpoldinger Biathlon-Piste. In diesem Fall natürlich in der unblutigen Paint-Ball-Version: Zwei lila AfD-Treffer „töten“. Wer am wenigsten sozialdemokratisch-linke rote Farbtreffer abbekommt, hätte gewonnen. Nette Idee, ein bisserl körperlastig, aber pandemiebedingt auch nicht zu machen.
Wegen des (eigentlich wirklich schändlich niedrigen) Buy-out-Honorars der ZDF-Unterhaltungsabteilung (kein anderes Medium „wollte“) – verscherbelte ich meine auf total harmlos gebügelte Show-Idee dem Silver-Age-Sender: Die drei Kandidaten treten im Stil der „Masked Singer“ zunächst zugelost in perfekten Kostümen auf, in denen sie absolut nicht zu erkennen sind: Als „Merkel“, „Söder“ und „Spahn“. Sie versuchen jeweils, diese aktuell höchst populären Persönlichkeiten möglichst realistisch zu imitieren.
Durch die Sendung führt launig der Arzt – schließlich sind zwei der Kandidaten schon etwas älter –, Hobbypsychologe und Komiker Eckart von Hirschhausen. Er liest sicherheitshalber die von Böhmermann und Welke in heftigem Streit entwickelten hochpolitischen Gags vom Teleprompter ab. In einem telefonischen – jeder Anruf kostet fünf Euro – Voting entscheiden die Zuschauer nach der Demaskierung über die beste schauspielerische Leistung. Sicherlich ein zentrales Qualifikationsmerkmal für das angestrebte Amt. Am Schluss-Gag bin ich wirklich unschuldig: Die Kandidaten verschwinden nämlich ratzfatz in einer Versenkung – und es treten – für ein erneutes Voting – die Originale auf. Jeder Anruf soll jetzt 500 Euro kosten … Sendetermin Silvester, 20 Uhr.
Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur