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Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald
Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald
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Theos Kurz-Schluss: Wie ich einmal vergeblich versuchte, mir dank Künstlicher Intelligenz das Leben etwas leichter zu machen

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Manchmal bekomme ich (nicht weitersagen – ganz ordentlich honorierte) Schreibangebote von auch mir kaum bekannten Medien. Kürzlich z. B. bot mir das Journal „Reich werden mit Old Metal“ dreistellige Euros für einen lebendigen Report zum Thema „Reich werden dank Festivals – mit Rückblick auf das vergangene Jahrhundert“. Warum man ausgerechnet mich als Autor ausgesucht hat, ist mir angesichts meines materiellen Zustandes völlig unerfindlich. Da hat sich vermutlich ein Praktikant vergoogelt. Egal. Seit Wochen schon versuche ich alles Mögliche, mir die sogenannte „Künstliche Intelligenz“ dienstbar zu machen, um mich an einem fernen Strand satt auf die faule Haut legen zu können.

Bislang erhielt ich auf meine Anforderungen z. B. an RülpsGPS oder dergleichen stets unbefriedigende Antworten. Also bat ich meinen Freund und Experten in Sachen Künstliche Intelligenz Olaf Z. (Name geändert) um Rat und Hilfe. Er empfahl mir, eine meiner absurden unveröffentlichten Kurzgeschichten samt einer oder zwei möglichst schlichter Fragen an die KI zu senden und um eine Antwort zu bitten. Wenn ich etwas in meinem verqueren Sinne Pseudoliterarisches ersehne, solle ich eine biografische Rahmenhandlung zufügen. Dann fühle sich die KI geschmeichelt und kümmere sich vielleicht intensiver um mich.

Nach einigem Grübeln postete ich folgende Fragen unter dem Pseudonym „Schwätzer“ an die KI: „War die Organisation von Musikfestivals seit den vergangenen 50 Jahren ein brauchbarer Weg, um zu Kapital zu kommen? Warum? Erbitte markt- und speziell musikmarktfundierte Antwort in bildhaftem Kommentarstil auf 6.000 Zeichen samt Fehleranalyse. Als Beispiel eine hundertpro ehrliche, emotional kräftig aufgetankte Story aus vergangener Zeit … Also, bitte, hier die garantiert unveröffentlichte Geschichte als Basis für die KI-Analyse:

„Eine Generation im Aufbruch: Woodstock 1969 – das Revolutions-Event, dem ein schnöselig-ignoranter Journalistenkollege die Überschrift widmete: Hunderttausend auf der Suche nach einem Klo. Blasphemisch. Was waren wir seinerzeit fleißig Studierenden angetörnt von diesem Fanal einer neuen freiheitlichen Weltordnung. Höchste Zeit, so was auch in Good-Old-Germany zu veranstalten. Drei clevere Kumpel, jeweils Ingenieur, Wirt, Volkswirtschaftsstudent, planten im September 1970 das europäische Pendant auf der Ostseeinsel Fehmarn. Angekündigt waren alle Musikanten, die Rang, Namen und ein sauberes politisches Bewusstsein hatten: Jimi Hendrix, Ginger Baker, Canned Heat, Sly & the Family Stone, Ten Years After, Procol Harum, Keef Hartley, Rod Stewart und, und, und  ... Nix wie hin, dachte ich samt drei weiteren Regensburger Provinz-Influencern. Ausgerüstet mit einem selbst gebastelten Presseschild, einem etwas brüchigen Zweimannzelt und reichlich Proviant machten wir uns in meinem klapprigen Deux chevaux auf den Weg. Nach ca. 15 Stunden Fahrt erreichten wir in einer schier endlosen Autoschlange das Festivalgelände. Wir bekamen ein Plätzchen höchstens einen Kilometer von der Bühne entfernt – und von üppigen Beate-Uhse-Hostessen einen Plastiksack voller Kondome. – Sie wurden ungenutzt zurückgelassen, so viel sei verraten. – Scharf blies der Seewind und trug neben schwarzen Regenwolken ein paar Klänge der allseits unbekannten Startband namens Cravinkel ins bereits stark flatternde Zelt. Dann goss es aus Eimern. Unser Zeltplatz verwandelte sich in eine Schlammwüste. Wir flohen ins Auto. Angeblich spielten gerade Canned Heat – während wir feststellen mussten, dass mangels geeignetem Öffner Ölsardinen kein optimales Nachtmahl darstellen, wenn man sie mit dem Schraubenzieher öffnet und sich die gesammelte Ölsuppe gerecht und nur anfangs lecker duftend in die Autopolster saugt. Der nächste Tag brachte keine Wetterbesserung. War nicht so schlimm, denn es gab viele Pausen, weil die meisten Bands nicht kamen. Immerhin sang am letzten Love&Peace-Mittag Jimi Hendrix ›All Along the Watchtower‹, und noch ein zwei Liedchen. Dann wurde auch er vom Wind verweht. Mittlerweile machte sich bei den angeblich 20.000 Peace-Fans eine gewisse Unzufriedenheit breit. Erste Mülleimer und Klohäuschen gingen in Flammen auf, vermutlich um den kalten Sturm ein wenig zu kompensieren. Allerdings geriet das Szenario immer bedrohlicher, weil die Security-Rocker  – wohl um die Stabilität der Lautsprecher-Türmchen zu prüfen – so lange an deren Verstrebungen rumrüttelten, bis sie umfielen und niemand mehr schaden konnten. Als dann aber auch noch die Bühne in Flammen aufging, wurde es selbst uns mulmig. Wir schälten uns aus dem Zeltwrack und ergriffen – soweit es der töffelnde Deux chevaux zuließ – eiligst die Flucht. Später erfuhren wir, dass die Love&Peace-Veranstalter schon am Vorabend mit der Kasse – damals zwei Millionen D-Mark – durchgebrannt waren. Insgesamt aber doch ein feines Festival-Erlebnis, das sich bis heute plastisch und olfaktorisch in meine Erinnerung eingebrannt hat. Schade nur, dass der wunderbare revolutionäre Impetus durch die Raffgier dreier vom Kapitalismus verseuchter Kumpel doch ein wenig beschädigt worden ist.“

Soweit das sinnliche Ausgangsmaterial. Was lernt man als solider Kaufmann von solchem Vorgehen? Wie kann man die Organisation besser gestalten? Gibt es Beispiele, verehrte KI? Die Antwort kam nach zwei Minuten: Es tut mir leid, aber ich sehe einen klaren Zusammenhang zwischen Ihrer Geschichte und von Woodstock 1969. Was ist „Kapitalismus“? Die Frage nach einem brauchbaren Weg, um vor 50 Jahren Kapital zu beschaffen, ist gänzlich obsolet. In Bezug auf die Organisation von Festivals und die Beschaffung von Kapital gibt es in der Tat viele Beispiele für erfolgreiches und erfolgloses Vorgehen. Einige Faktoren, die für den Erfolg wichtig sein können, sind eine klare Planung und Kommunikation, eine angemessene Finanzierung und ein gutes Risikomanagement. Es ist auch wichtig, dass die Veranstaltung eine klare Vision hat und den Bedürfnissen der Zielgruppe entspricht. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Organisation von Musikfestivals ist das Coachella Valley Music and Arts Festival, das seit 1999 stattfindet. Die Veranstaltung hat sich zu einem der wichtigsten Musikfestivals der Welt entwickelt und zieht jedes Jahr Tausende von Besuchern an. Die Organisatoren haben sich auf die Bereitstellung eines einzigartigen Erlebnisses für die Besucher konzentriert und arbeiten eng mit Sponsoren und anderen Partnern zusammen, um eine solide Finanzierung sicherzustellen. Außerdem haben sie uns als zentrale Beratungs- und Controlling-Software aufgekauft. Das dürfen Sie in Ihren (nach unseren Recherchen ziemlich unbedeutenden) Medien kostenlos publizieren. Noch ein Tipp: Wechseln Sie Ihren Job. Wir suchen dringend dumme, also vertrauenswürdige Zentraleinheiten-Entstauber.


Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur

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