Wenn es um einen der engagiertesten, der wichtigsten Musikpreise der Welt geht, um den Ernst von Siemens Musikpreis München nämlich, meint manch Berichterstatter den Auslobern wie den Preisträgern Gutes tun zu müssen, indem er vom Nobelpreis der Musik schwadroniert. Das mag gut gemeint sein – was bekanntlich das Gegenteil von Gut repräsentiert. Denn der Nobelpreis ist nun mal der Nobelpreis und der Ernst von Siemens Musikpreis in all seinen Facetten ist nun mal der Ernst von Siemens Musikpreis.
Zum vierzigsten Mal wurde er jetzt verliehen. Und das Ritual der Verleihung ist mittlerweile zur großen und lebendigen Tradition geworden. Denn von bescheidenen Anfängen ausgehend, stehen anno 2013 drei Millionen Euro zur Verfügung für all die musikalischen Fördermaßnahmen weltweit, kompositorisch, interpretatorisch, konzipierend. In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Akademie der Schönen Künste war 1973 der Start gesetzt, in deren Räumlichkeiten an prominenter Stelle der Münchner Residenz.
Lange Jahre war dann das Cuvilléstheater – jenes unvergleichliche Rokokojuwel, das dergestalt zum Brückenbauwerk zwischen Historie und Gegenwart mutierte – Ort des Rituals. Die Münchner Kammerspiele waren während der Sanierungsarbeiten Gastgeber an der Maximilianstraße. Und jetzt – zum ersten Mal – fanden die Neugierigen und die Netzwerker und die Antreiber und die Innovateure, die Agenten und ihre Kontaktknüpfer, die Komponisten und ihre Interpreten im Prinzregententheater zusammen. In Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk machte sich erstmals ein livestream auf in die (Un)Tiefen des Internets, wo das Geschehen dann sozusagen grenzenlos wurde.
Trotz dramaturgischer Straffung war der Abend auch diesmal mindestens so lang wie ein mittlerer Richard-Wagner-Aufzug. Wahrscheinlich aber spannender. Was freilich von Weltsicht und ästhetischer Präferenz abhängt. Die drei Komponisten-Förderpreise wurden von Thomas von Angyan überreicht, dem Vorsitzenden des Kuratoriums der Ernst von Siemens Musikstiftung, knapp und präzise vermittelt, jeweils nach der Vorführung kurzer Portraitfilme und der Aufführung des zu preisenden Stücks. Als Interpreten agierten höchst ambitionierte Mitglieder des BR-Symphonieorchesters, die Samy Moussas Kammerkonzert, David Philip Heftis „Éclairs“ (als konzertante Uraufführung) und Marko Nikodjevics „music box“ spielten: feurig-präzise und motiviert vom explizit konzentrierten Peter Tilling angefeuert.
Die weltweit offene Ausrichtung kommt bei den Jury-Entscheidungen immer wieder zum tragen. Und vieles käme ohne die Gelder aus dem schweizerischen Zug (dem Sitz der Ernst von Siemens Musikstiftung) nie ins erklingende Musikleben hinein. Das waren auch diesmal wieder spannende, akzentuierte, eigenständige Strukturmodelle, schon individuell und kompakt gearbeitet, stringent dargeboten. Doch einer nun hundertjährigen Tradition dessen, was neue Musik denn sei und über die Zeiten hin so repräsentiere, wurden da keine Akzente hinzugefügt, die eine unverwechselbare Zeitgenossenschaft eines dritten Jahrtausends erkennbar machen würden. Das aber ist ein Thema der brandenden aber nicht unbedingt zwingenden Produktion, die zwischen den Zentren der zeitgenössischen Musikdarbietung pendelt.
Das freilich hat nichts mit der Ernst von Siemens Musikstiftung zu tun. Die setzt einzig auf Top-Qualität. Und selbige gilt es Jahr für Jahr herauszudestillieren aus dem Weltmarktangebot… Zu einem in diesem Zusammenhang dann tatsächlich naturgegebenen Höhepunkt wurde die Ehrung des BR-Symphonieorchester-Chefdirigenten (und Concertgebouw-Kunst-Bosses) Mariss Jansons. Die menschliche Wärme, die musikalische Besessenheit, die ganz in den Anforderungen der Musik aufgehende Persönlichkeit faszinierte und irisierte in der wundervoll-persönlich-freundschaftlichen Laudatio des weltläufig-großartigen Thomas Hampson. Dieter Borchmeyer, Vorsitzender des Stiftungsrates der Ernst von Siemens Musikstiftung und Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, überreichte den Preis – der vom Preisträger gleich weitergereicht wurde. Als Teil des Grundkapitals für einen Weltklassekonzertsaal, der in München gebaut werden muss.
Den die Stadt wahrlich benötigt. Klar gibt es drei plus x (auch traditionsreiche) Säle. Aber keinen einzigen, der die Klasse hätte, die der Musikstadt München mit ihrem Anspruch auch nur annähernd gerecht würde. Und der mit der Ungerechtigkeit Schluss machte, die BR-Symphoniker weiterhin als Pendler und Bettler ohne eigenen Saal in der Heimatstadt herumgeistern zu lassen. Neben all solchen Highlights war der unbestrittene Höhepunkt Mariss Janssons am Pult seines Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks: Er dirigierte ein wahres Zauberwerk aus Musik pur und Rhythmus und Struktur und Melodie und Kraft und Zärtlichkeit, aus zeitgenössischer Gebrochenheit, aus Kleinteiligkeit und großem Wurf, aus folkloristischer Anmutung in großorchestraler Zusammenschau all dessen, was Sehnsucht und Gestaltungswille so zusammenbringen können: das war György Ligetis „Concert Romanesc“. Und darauf passten einzig minutenlange stehende Ovationen.