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Titelseite der nmz 2013/04.
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Tote Hosen

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Theo Geißler über die marode Musikwelt des Fernsehens
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Mainz wie es singt und lacht: Ein simpler Karnevals-Kalauer-Dauerbrenner charakterisiert inzwischen trefflich das Verhältnis der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten zu allem Künstlerischen: Vom betönernen Lerchenberg herab verkündet ZDF-Intendant Thomas Bellut soeben das Ende des ZDF-Kulturkanales, nachdem dieser erst kürzlich als angeblicher Versöhnungskitt zwischen „Feuilleton und Pop“ an die Stelle des durchaus renommierten Theater-Kanales geflickt worden war. Zu wenig Quote, zu teuer. Die üblichen Controlling-Propheten verordneten dem Sender ins Jahr 2016 weitblickend, den Gürtel um 75 Millionen angebliche Euro-Löcher enger zu schnallen. Wen trifft’s? Natürlich weder „Wetten dass…“ – noch die Champions-League.

Schmalhans als Programmdirektor ist auch bei der ARD angesagt. Hier – wie auch beim „Zweiten“ – jongliert man unter selbstauferlegter Quotensteuerung gern mit Sendeplätzen. Kulturmagazine geraten zum Frühstücksfernsehen für die Mitternachts-Schicht. Dabei haben sich die meisten dieser einst informationsstarken Formate inzwischen ein Flitterkleid übergestülpt, das sich von der Videoclip-Ästhetik einschlägigen Privat-TV-Schrottes kaum noch unterscheidet. Maximale Technik-Spielereien überflimmern den Inhalt. Und letzterer gerät immer mehr zu einem kleinsensations-heischenden, kulturentfremdeten Flickenteppich – als stünden „Titel-Thesen-Temperamente“ oder „Aspekte“ im Zuschauerzahlen-Konkurrenzkampf mit Markus Lanz oder Harald Raab.

Genauso aber scheint die flache Denke unserer öffentlich-rechtlichen Programmverantwortlichen zu funktionieren. Ginge es noch um Qualität statt Quote, hätten beispielsweise die Musikverantwortlichen in der ARD-Rechenschieber-Hierarchie statt der industriegesteuerten „Echo“-Show – ob die fehlende Einblendung „Dauer-Werbesendung“ noch ein juristisches Nachspiel nach sich zieht? – eine angemessen ausgestattete Präsentation des unabhängigen „Preises der deutschen Schallplattenkritik“ produzieren müssen.

Solide journalistische Arbeit, gründliche Recherche, fundierte Wertung, sachlich kompetente Dokumentation gerade kultureller Phänomene jenseits des Kommerz-Klamauks scheinen aus der Spaßmacher-Dramaturgie im Vorzimmer der Intendantenbüros gründlich vertrieben. Die Live-Übertragung eines Jugend-musiziert-Preisträgerkonzertes zur Prime-Time? Todlangweilig – oder? Authentische Volksmusik statt denaturiertem Scheunen-Gejodel? Guckt doch keiner. Ein fantasievoll kompiliertes Porträt des Bundesjugendorchesters statt des nächsten Feigenblatt-Echos für Daniel Barenboim? Juckt doch niemand.

„Wir amüsieren uns zu Tode“ heißt ein bis heute sehr beachtenswertes Buch von Neil Postman aus dem Jahr 1985. Es gehört – nach dem Verursacherprinzip – zur Pflichtlektüre jedes öffentlich-rechtlichen Programm-Verantwortlichen erhoben. Weil es dazu nicht kommen wird, ist das Ende dieser einst verdienstvollen und weltweit vorbildlichen öffentlich-rechtlichen Sender-Strukturen absehbar. Sie schaffen Kultur ab – sie schaffen sich selbst ab. Schade.

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