Tristan und Isolde“, die mit reichlich autobiografischen Anzüglichkeiten gespickte „Handlung in drei Aufzügen“ Richard Wagners, wurde vor allem wegen des Orchestersatzes und der Stimmführung der Vokalpartien bei der Uraufführung an Münchener Hoftheater 1865 als „revolutionär“ empfunden. Naheliegend war und blieb, daß auch spätere Generationen vom innovativen, obsessiven Potenzial des Werks zu profitieren hofften. Es wurde daher weitgehend der frühmittelalterlichen gesellschaftlichen Zusammenhänge um König Markes entkleidet. Man sah „Tristan und Isolde“ in den letzten Jahren, dank Heiner Müller, im Kontext von Ölfässern und, vielleicht sinnfälliger, vermittels Anna Viebrock und Christoph Marthaler, in einer auf Thomas Manns Novellen-Schilderung gestützt Sanatoriumswelt. Tilman Knabe, der sich gerne als Regie-Beserker profiliert, hat die Handlung nun am Staatstheater Mainz aktualisiert.
Die Musik gewordene Handlung, in fast allen Fasern ein Werk des hohen 19. Jahrhunderts, lotet zurück in jenes von Gottfried von Straßburg zu Beginn des 13. Jahrhunderts in Versromanform gebrachtes Mittelalter, in dem man Gewaltbereitschaft als höchste männliche Tugend feierte. Den historischen Hintergrund der Tristan-Sage in der von Wagner kolportierten Form bilden die Versuche im Mittelalter, Irland von englischem Territorium aus zu unterwerfen oder wenigstens tributpflichtig zu machen. In diesem Kontext ist der Abwehrkampf von Morold zu sehen, dem Verlobten der Prinzessin Isolde, der gegen die vom Held Tristan kommandierten Invasionstruppen des südenglischen Königs Marke geführt wird – und die geplante Hochzeit zwischen diesem Monarchen und Isolde ist beileibe keine Herzensangelegenheit. Es ist ein politischer Schachzug, der allerdings ohne die Wirtin gemacht wurde.
Die Mainzer Inszenierung von Tilman Knabe, optisch ausgerüstet durch Beatrix von Pilgrim und Kathi Maurer, verschiebt die aus einer nebligen Zone der Geschichte stammende Story nicht in das Niemandsland einer womöglich psychologisch interessierten abstrakten Versuchsanordnung, sondern zeigt zunächst, ganz im Sinne des Dichterkomponisten Wagner, kriegerische Seefahrt und die Innenansicht eines der ihr dienlichen Fahrzeuge: Auf dem Zwischendeck einer modernen Fregatte werden Isolde und deren Dienerin Brangäne in einer Kabine unter Verschluß gehalten. Rechts zeigt sich ein bewachter Flur, links der Mannschaftsraum, in dem sich Marineoffiziere das auf einem Screen ansehen, was die Überwachungskamera im Verlies aufzeichnet. Während Brangänes Verhandlungen mit den Anführern der amtlichen Entführer muß sich Isolde in der Naßzelle übergeben. Nachdem sie den Kommandeur Tristan in ihre Kabine locken, wegen der Tötung Morolds zur Rede stellen und zum gemeinsamen Selbstmord überreden konnte, ist – abweichend von Wagners Handlungskonzept – sie es, die den Todestrank austauscht. Vermutlich gegen Leitungswasser. Das Entbrennen in Liebe und Lust nimmt, trotz einer noch per Handy rasch durchgegebenen Warnung vom First Officer Kurwenal, kraft der dem Alphamännchen und der Superfrau innewohnenden Triebstruktur seinen Lauf. Die beiden verkeilen sich in der Koje so heftig, daß Tristan bei Ankunft kaum den Hosenlatz zubekommt und Isolde im eilig übergestülpten Brautkleid auch auf bedenkliche Weise derangiert erscheint. Regisseur Knabe gab dem ersten „Tristan“-Akt eine operettenhafte Wendung. Da stört dann auch nicht weiter, daß der atavistische Keltenbrauch des „Sühnetrinkens“ mit der Panzerkreuzer-Sphäre heillos kollidiert.
In Teil 2 wird es dann ernst: König Marke, optisch nach besten Kräften einem unlängst abgetauchten nordafrikanischen Despoten angenähert, hält im Kleinen Festsaal einer seiner Residenzen eine kurze Ansprache, bevor er mit seiner Meute zur Jagd aufbricht. In dieser realsozialistisch inspirierten ungastlichen Atmosphäre kommt es zum neuerlichen Liebesakt des Hohen Paars, der allerdings mit einer Pantomime zur Frauenfrage in einem muslimisch ausgerichteten Land aufgelockert wird: da wird ein Rudel verschleierter Frauen erschossen (warum? – das ist nicht ersichtlich). Die Statistinnen erstehen allerdings auch wieder auf und beginnen, in einem plötzlich des Wegs kommenden Kopiergerät womöglich frauenemanzipative Botschaften zu vervielfältigen. König Marke, der mit seinen Leuten Tristan und Isolde in flagranti erwischt, zeigt in Knabes Lesart der Tragödie kein Verständnis für den „treulos treuesten Freund“, sondern nur Häme, Zynismus und ein wenig körperliche Gewalt mit einem Messer. Bevor er durch einen Schuß verletzt wird, gelingt es Tristan, des Königs allerallergetreuesten Melot mit dem kurzfristig außer Acht gelassenen Messer als Geisel zu nehmen. Die folgende Befreiungsaktion führt dann zu einer heftigen Ballerei, die in dieser Form von Wagner nicht vorgesehen ist und auch keine Interpretation des Handlungsstrangs darstellt, sondern willkürliche (und vor allem unnötige) Zutat ist.
Bevor die Produktion aus dem Ruder laufen konnte, sorgte ein starkes stilles Theaterbild zu Beginn des 3. Aufzugs für einen Kontrapunkt: Der auf den Tod verwundete Tristan wird in seiner „Burg“ medizinisch notdürftig versorgt und das lange Warten auf die einzig kompetente Ärztin – Dr. Isolde – hebt an: zu sehen ist ein geschlagener Trupp bewaffneter Maghrebiner hinter den in der Fensteröffnung aufgehäuften Sandsäcken – in einem ramponierten Raum, der als Unterstand dient. Da könnte es mit Tristan und Isolde auf die überzeugendste Weise zu Ende gehen. Denn gesungen wird von den Protagonisten, die allesamt aus dem Mainzer Ensemble stammen, in bemerkenswerter Weise kompetent: Patricia Roach erweist sich als völlig spursichere Brangäne, Heikki Kipeläinen als glaubhafter Kriegsgefolgsmann Kurwenal. Ruth Staffa sorgt in der Höhe manchmal für etwas viel Druck (so laut ist das Orchester unter Hermann Bäumer dann auch wieder nicht und das Haus ja nicht allzu groß), insgesamt aber meistert sie die riesige Herausforderung der Isolde-Partie gut – und Alexander Spemann schlägt sich als Tristan auch mehr als achtbar. Was die beiden Hauptfiguren bieten, übertrifft so manches, was man an weit größeren Häusern zu hören bekommt (und von Provinzbühnen in Oberfranken wollen wir hier schon gar nicht reden).
Leider kann es Tilmann Knabe nicht lassen und setzt nicht nur einen weiteren optischen Gag drauf, sondern derer wenigstens drei (und niemand in der Direktion wollte oder konnte ihn offensichtlich bremsen): König Marke und sein Vasall Melot brechen durch die verbarrikadierte Tür mit der Panzerfaust herein und bringen zum Abschied jetzt wieder als unschuldig geltenden Freund auch gleich die Pressemeute mit. Die nach hinten entrückenden Kämpfer beider Seiten werden dann irgend wann einmal auch noch pantomimisch über den Haufen geschossen – und die als Flintenweib überlebende Isolde bekommt noch ein jugendfrisches Double zugesellt, die als Ikone einer besseren femininen Menschheitszukunft mit dem Verfolgungsscheinwerfer über die Bühne geführt wird. Dieses dreifache Draufsatteln war wohl selbst manchem, der sich zunächst mit einem gewissen Vergnügen auf das Transportunternehmen Knabe einließ, ein wenig zu viel zu viel. Es war auch handwerklich nicht gut gelöst.