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Die Sängerin Noa beim Südtirol Jazz Festival Alto Adige. Foto: Ralf Dombrowski
Die Sängerin Noa beim Südtirol Jazz Festival Alto Adige. Foto: Ralf Dombrowski
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Über allen Wipfeln ist Jazz – zur Eröffnung des Südtirol Jazz Festivals Alto Adige 2010

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Gut sieht er aus. Immerhin hat Klaus Widmann sich mit einem umfassenden Sportprogramm im Vorfeld der Veranstaltungen fit für das Südtirol Jazz Festival Alto Adige gemacht. Und das ist auch nötig, denn der Konzertreigen ist wieder ein Stück größer geworden und fordert daher die ganze Aufmerksamkeit seines künstlerische Leiters: „Mit dem Vinschgau als Veranstaltungsort ist nun auch die letzte noch fehlende Region Südtirols dabei. Das ist großartig, fordert uns aber auch neue Organisationspunkte ab. Es ist schon spannend. Jedes Jahr am Ende des Festivals haben wir das Gefühl, das Bestmögliche erreicht zu haben. Und in jedem folgenden Jahr sind wir wieder weiter gewachsen“.

Tatsächlich ist das Südtirol Jazz Festivals Alto Adige, das in diesen Tagen in seine 28.Runde geht, zu einem der zentralen Kulturereignisse nicht nur der Region, sondern auch des südlichen Alpenraumes geworden. Über zehn Tage hinweg spielen rund 250 Musiker aus 16 Nationen in Städten und Dörfern, auf Almhütten und bei Winzern, in Schlössern und sogar auf einem Floß. Das Spektrum der Orte reicht von Bozen bis Burgeis und Sterzing bis Meran, die stilistischen Schwerpunkte liegen auf europäischen und italienischen Musikern, die durch Gäste aus aller Welt ergänzt werden. Dabei werden eigene Projekte kreiert, die sich sonst nirgendwo anders finden und über die touristischen Vorzüge des Festivals hinweg dem Programm ein individuelles, markantes Profil geben.

Noas Jazzseele

Beispiel Noa. Man kennt die israelische Sängerin als Popstar der Weltmusik, durchaus stimmgewaltig, aber musikalisch zuweilen etwas schlicht, weil allzu pathostrunken und neofolkloristisch. Dieser Aspekt interessierte Klaus Widmann daher wenig und so lud er sie ein, sich mit einem italienischen Trio zu verknüpfen. Am Klavier saß die feinsinnige Rita Marcotulli. Luciano Biondini sorgte mit dem Akkordeon für mediterrane Farben und Fabrizio Bossos Trompete passte sich stilistisch wandlungsfähig in den Rahmen. Noa, die sich selbst als Perfektionistin versteht und gerne alles unter Kontrolle hat, brachte lediglich ihren Partner Gil Dor an der Gitarre mit, der Rest blieb der Spontaneität des Eröffnungsabends im Bozener Stadttheater überlassen. Das Resultat des Treffens war erstaunlich, denn je weniger feste Arrangements vorgegeben waren, umso charmanter und stellenweise mitreißender geriet die Musik.

Die Sängerin, die in den Anfängern ihrer Karriere in New York Jazz studiert hatte, erwies sich als faszinierend energetische Interpretin amerikanischer Standards. Ihr „Lush Life“ hatte genau die nötige Portion Emotion, um nicht ins Sentimentale umzuschlagen, „This Masquerade“ präsentierte eine perfekt zickige Artistin der Details, die sogar Soul ins Spiel brachten. Obwohl insgesamt ein wenig lang, zeigte dieses Musikertreffen genau den Esprit eines Festivals, das sich der eigenen Tradition der Experimente, mit dem es in den Achtzigern begann, bewusst ist und zugleich die Brücke zum Publikum schlägt, das noch verstehen will, was auf der Bühne passiert. Bosso und Biondini übrigens hatten am folgenden Tag die Möglichkeit, erstmals als Duo auf der Edel-Alm des Vigilius Mountain Resorts zu zeigen, dass sie auch als Kleinteam etwas zu erzählen haben. Mit Forza jagten sie durch die Klangräume der postfolkloristischen Jazzmoderne und erwiesen sich als kraft- und humorvolles Gespann mit kaum zu bremsender Spielenergie.

Butch Morris und Dixie

Wie vielfarbig sich die musikalische Palette gestalten lässt, wurde insgesamt über das Auftaktwochenende hinweg klar. Da hatte zum einen der Dirigent Butch Morris mit Studenten des Bozener Konservatoriums ein Konzert erarbeitet, das auf eigenwillige Weise die Idee des Orchesters mit der der Improvisation kombinierte. Als Strukturarbeiter konfrontierte er das Ensemble mit einer Technik des Conductings, die kaum Wert auf Partitur, dafür aus Impulse und Energieströme, Schichtungen und Kontraste legte. Hier traf Minimalismus auf Unmittelbarkeit, Klangwucht auf Motivskelettierung, situativ und doch klar angeleitet von Morris tänzelnd tändelnder Dirigierkunst.

Das andere Extrem konnte man am Sonntag erleben, als zwei Marching Dixie Bands aufeinander trafen, die eine auf einem Floß swingend, die andere an Land den Ton angebend. Hier war bei allem Ernst auch der Eventcharakter gefragt und brachte die Musik direkt zu den Menschen, auf dem Wasser zu Flaneuren und Bikern an der Etsch und abschließend auch zu den Kulturbeflissenen auf der Burg Sigmundskron. Denn auch das ist wichtig für das Südtirol Jazz Festival Alto Adige. Die Musik soll nicht warten, bis die Menschen zu ihr kommen, sondern auf alle die zugehen, die vielleicht noch gar nicht wussten, was ihnen bisher entgangen ist. So gibt es bis zum 4. Juli noch vieles zu erleben, Stars wie Enrico Rava und Dianne Reeves, Rosario Giuliani und Médéric Collignon, aber auch den besonderen Charme eines Festivals das die Menschen in vieler Hinsicht mit auf Entdeckungsreise nimmt.

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