Im Historischen Staatsarchiv Lettlands (Riga) wurde eine bisher unbekannte Autobiographie des Komponisten Georg Philipp Telemann (1681-1767) entdeckt. Die autographe Skizze befindet sich in Materialien aus dem Nachlass des Rigaer Kantors Georg Michael Telemann, dem Enkel des berühmten Hamburger Musikdirektors und Johanneumkantors. Der Musikwissenschaftler Ralph-Jürgen Reipsch, Mitarbeiter des Zentrums für Telemann-Pflege und -Forschung Magdeburg, hat den sensationellen Fund sowie eine bisher gleichfalls unbekannte deutsch-französische Lebensbeschreibung in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Die Musikforschung publiziert.
Bei Telemanns Text, der etwa 1738 verfasst wurde, könnte es sich um eine eigenständige, aber verworfene Fassung für Johann Matthesons Musikerlexikon „Grundlage einer Ehren-Pforte“ (1740) handeln. Telemann schildert seine Lebensumstände in dem vierseitigen Manuskript unter den fünf Rubriken „Eltern“, „Erziehung“, „Studien“, „Music“ und „Ehrenstellen“. Zu den Neuerkenntnissen, die aus dieser Biographie zu ziehen sind, gehört u.a., dass ihn neben den Magdeburger Schulen auch die „auserlesene Stadtmusic“ seiner Geburtsstadt musikalisch geprägt hat. Unter der Rubrik „Eltern“ widmet er sich vor allem seiner Mutter, von der er seine Musikalität herleitet. Ihr Entschluss, dem überaus begabten Knaben jenseits der Musik eine fundierte Ausbildung auf auswärtigen Schulen in Zellerfeld und Hildesheim angedeihen und ihn in Leipzig Jura studieren zu lassen, zeugt von der Lebensklugheit dieser gebildeten und frommen Frau, die sich durch den frühen Tod ihres Mannes (1685), des Heilig-Geist-Predigers Heinrich Telemann, in dürftige wirtschaftliche Verhältnisse versetzt sah. So unterstreicht Telemann: „Ob ihr weniges Vermögen schon nicht zuließ, viel Kosten, zu Erlernung allerhand, einen jungen Menschen zierenden, Geschicklichkeiten anzuwenden, so ließ sie es doch am nöhtigen nicht ermangeln“. Und nicht ohne Stolz erwähnt er, dass er sie durch sein „Chor= und anderweitiges Singen“ schon in seiner Magdeburger Zeit finanziell entlastet habe, und dass sie ihm, nachdem die Vorsehung ihn „in die Ferne geführet“ habe, dank seiner musikalischen Tätigkeiten nur noch „wenig, oder nichts, mehr zuzuwenden bedurft“.
Bemerkenswert ist der Text auch aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine Arbeitsskizze handelt, aus der alle Phasen der Entstehung noch zu ersehen sind: Zahlreiche Streichungen, Überschreibungen und Ergänzungen zeigen, wie Telemann nach Formulierungen suchte und wie er bemüht war, die biographischen Schwerpunkte inhaltlich sinnvoll zu ordnen. Damit erlaubt dieses Dokument es zumindest ansatzweise, sich dem Denken und Abwägen des Verfassers anzunähern.
Telemanns „neue“ Lebensbeschreibung endet im Abschnitt „Ehrenstellen“ mit einer leider viel zu kurzgeratenen Schilderung seiner überaus erfolgreichen Parisreise von 1737/38, die zweifellos einen Höhepunkt seines musikalischen Lebens darstellte und von der er „vollkommen vergnügt“ zurückkehrte.
Bei dem eingangs erwähnten zweiten Deutsch-Französischen Lebenslauf wird es sich um eine ca. 1746 entstandene korrigierte, gestraffte und sprachlich überarbeitete Neufassung der ersten zweisprachigen Biographie von 1744 handeln, die in Zusammenhang mit Telemanns gedruckten Kantatenjahrgang „Musicalisches Lob Gottes“ (Nürnberg 1744) entstanden war. Zahlreiche Korrekturzeichen weisen das beidseitig bedruckte Einzelblatt als eine Korrekturfahne aus dem Schriftwechsel mit dem Nürnberger Verleger Balthasar Schmidt aus. Offenbar hat dieser biographische Text jedoch keine weitere Verbreitung erfahren.