Barrie Kosky, designierter Intendant der Komischen Oper Berlin ab 2012, wartete zur Spielzeiteröffnung mit einer neuen Sicht auf Giuseppe Verdis sattsam bekannte Oper „Rigoletto“ auf: Der australische Regisseur versteht sie durchaus als „komische Oper, – die schrecklich schief geht“. Ausstatterin Bettina Babidge hat eine Bühne auf die Bühne gebaut, einen abgerundeten Raum ohne Ausgänge, aber mit vielen Versenkungen, der ein Zaubertheater á la Grand Guignol ermöglicht.
Rigoletto, makellos dramatisch gestaltet von Bruno Caproni, hat keinen Buckel, aber er ist ein dickliches, zweigeschlechtliches Wesen, quasi Vater und Mutter Gildas zugleich, und er gebiert die Figuren der bösen, blutigen Geschichte unter seinem riesigen Reifrock. Einzige Dekorationen im grünlichen Bühnenraum sind per Versenkung eingesetzte, schmale Kisten, die als Wohnschrank oder als Abgänge in Nebenräume dienen können, und auch mal als Zauberkiste bespielt werden, wenn der Herzog die Jungfrau (?) Maddalena zersägt. Die Regie ist nicht zimperlich bei der Verführung der splitternackten Tochter Monterones oder auch Gildas, die im dritten Akt schwanger ist, wobei Sparafuciles zahllose Messerstiche in die Leibesfrucht das späte Singen der Leiche Gilda etwas besser zu erklären versuchen.
Aber die hier exerzierte Realität ist ohnehin die eines Horrorfilms des 20. Jahrhunderts. Allerdings erhält auch Verdis Musik in dieser Lesart eine ungewohnte Modernität. Hatte schon Hans Neuenfels in seinen Verdi-Inszenierungen das Tänzerische in diesen Partituren betont, so kitzelt Kosky wiederkehrende Akzente als skurrile Momente heraus. Gildas Klopfen wird durch das rhythmische Aufspringen des hüpfenden Bewegungschors hörbar, Sparrafucile selbst schlägt die schwebende Mitternachtsglocke, und von hinreißendem Witz sind die abgezirkelten, die Musik szenisch umsetzenden Bewegungen des Herrenchors (musikalisch einstudiert von Robert Heimann).
Patrick Langes Dirigat unterstreicht die Modernität der szenischen Lesart: durch Herauskehren der grotesken Elemente assoziiert der Zuhörer eine musikalische Verwandtschaft sowohl zum Zirkus, als auch zu Schostakowitsch. Die Banda zu Beginn des ersten Aktes wird bewusst schräg, „out of tune“, als billige Partymusik eingespielt. Groteske Steigerung, wenn dieselbe Musik, szenisch mit Becken und Trommel unterstützt, vor dem dritten Akt nochmals abläuft, diesmal aber rückwärts.
Die pausenlose Aufführung kommt mit nur acht Darstellern aus, da die wandlungsfähige Christiane Oertel neben der Maddalena auch die Gräfin von Ceprano, Giovanna und den Pagen verkörpert und beispielsweise der Bassist Dimitry Ivashchenko ebenso in die Rolle des Sparrafucile, wie in die des Monterone, schlüpft. Julia Novikova ist eine dramatisch fesselnde Gilda, sauber intonierend, und mit glasklaren Koloraturen.
Eine neu eingebaute Bestuhlung integriert – wie in der Wiener Staatsoper – Monitore in die Rücklehnen der Vordersitze, auf denen die gesungenen Texte oder eine englische Übersetzung ausgewählt werden können. Dies führt bei der Eröffnungsinszenierung in einem Fall sogar dazu, dass erstmals in jenem Haus, in dem – in der Tradition Walter Felsensteins – die Verständlichkeit des Gesangs in deutscher Sprache oberstes Gebot ist, doch auch in Originalsprache gesungen wird, nämlich das berühmte „La Donna è mobile“ des Herzogs. Dabei sollte gerade dieses Lied, jenseits der abgedroschenen Melodie, in seiner textlichen Drastik verständlich werden. Grund für diese Entscheidung war allerdings offenbar der mexikanische Tenor Héctor Sandoval, der sich auch stimmlich als der einzige Schwachpunkt der Besetzung erwies, und dessen deutsche Aussprache ohne Mitlesen der Übersetzung von Bettina Bartz und Werner Hinze ohnehin nicht zu verstehen war.
Das Premierenpublikum überschüttete die Solisten (mit Ausnahme des Herzog-Sängers), den Chor und den Dirigenten mit Bravorufen, – beim Regieteam, mit dem sich auch der Dramaturg Ingo Gerlach verneigte, allerdings in der obligatorischen Mischung aus Zuspruch und Ablehnung.
Ein gelungener Spielzeit-Auftakt, da er vielfältig die ungebrochene Aktualität von Verdis Oper aus dem Jahre 1851 unter Beweis stellt.