Hauptbild
Götterdämmerung im Schillertheater: Iréne Theorin (Brünnhilde), Mikhail Petrenko (Hagen), Ian Storey (Siegfried) und der Staatsopernchor. Foto: Monika Rittershaus
Götterdämmerung im Schillertheater: Iréne Theorin (Brünnhilde), Mikhail Petrenko (Hagen), Ian Storey (Siegfried) und der Staatsopernchor. Foto: Monika Rittershaus
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Unendliche Leidenschaften – leider nur als Relief: Der Abschluss des „Ring“-Zyklus an der Staatsoper Berlin verebbt konzeptionslos

Publikationsdatum
Body

Als Daniel Barenboim sich am Ende der Premiere der „Götterdämmerung“ mit der Staatskapelle auf der Bühne verneigte, mischten sich in den Zuspruch auch deutlich Buhrufe. Die Staatskapelle hatte keinen rundum glücklichen Tag, mit dem verkicksten Horneinsatz zu Beginn des dritten Aufzuges und falschen Tönen in den Holzbläsern. Dennoch galt das Missfallen offenbar mehr dem Gesamtkonzept. Denn Barenboims musikalische Lesart und einige Sängerleistungen zählten zu den erfreulichen Ereignissen der szenisch missglückten Produktion.

Die Besetzung der neuen „Götterdämmerung“ liest sich, als erlebe der Berliner Zuschauer eine Koproduktion der Staatsoper mit einem russischen Opernhaus und nicht mit der Mailänder Scala. Denn mehr als die Hälfte der Partien ist mit russischen SängerInnen besetzt. Der hohe Prozentsatz rührt allerdings auch mit daher, dass die zweite Norn (Marina Prudenskaja) auch die Waltraute gibt, und die dritte Norn (Marina Poplavaskaja) auch die Gutrune verkörpert. Ungeachtet der Vokalverfärbungen der russischen SolistInnen, ist Mikhail Petrenko ein schön singender, hell timbrierter Hagen,  die Prudenskaja eine intensiv gestaltende Waltraute und die Poplavaskaja, vordem scharf und affektiert, verblüfft im dritten Aufzug als Gutrune mit einem skurrilen Piano-Dialog mit der Bassklarinette.

Ian Storey gefällt als Siegfried mit einem einwandfreien (und deshalb auch überlang gehaltenen) Bravour-C im dritten Aufzug („Hoihe!“) und in seinen leisen Passagen, während der britische Tenor im Mezzoforte unangenehm tremoliert. In Bestform gestaltet die schwedische Sopranistin Iréne Theorin die Brünnhilde, mit stimmlicher Leichtigkeit und sauberer Intonation. Atem setzt sie selbst dann gezielt als gestalterisches Mittel ein, wenn ihre Stimme schweigt. Gerd Grochowski ist ein souveräner Gunther, Johannes Martin Kränzle als Alberich hingegen wenig textsicher und – welch ein Regieeinfall – von Husten geplagt (als Entsprechung zum „verfluchten Nießen“ in der ersten Szene des „Rheingold“?). Nahezu in Bayreuthformat, wenn auch personell weit geringer besetzt, gefällt der von Eberhard Friedrich einstudierte Staatsopernchor mit Terrassendynamik und Textpräsenz.

Eine echte Crux ist hingegen die Nicht-Inszenierung des Bühnenbildner-Regisseurs Guy Cassiers, gipfelnd in einer geradezu konzertanten Szene der drei Rheintöchter (homogen gesungen von Aga Mikolaj, Maria Gortsevskaya und Anna Lapovskaja). Das Licht, für das namentlich Enrico Bagnoli firmiert, überlässt es häufig dem Zufall, ob die Solisten beleuchtet sind oder nicht. Haupteinfall des Bühnenbildners ist es, die Gibichungenwelt als Monsterlabor-Zoo zu definieren, mit einer fahrbaren, siebenstufigen Treppenformation beleuchteter Plexiglaskammern, die mit menschlichen Gliedmaßen angefüllt sind. Bei der Jagd führen Gibichs Mannen bereits ausgenommene, aber offenbar sehr leichte Innereien in großen Plastikbeuteln mit sich.

Der Walkürenfelsen ist das all zu brave Remake des kubistischen Felsens der vorletzten „Ring“-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin, in den Skulpturen von Fritz Wotruba. Im Schillertheater halten die Nornen, nachdem ihr doppeltes, rot leuchtendes Seil erloschen ist, über die obere Ebene des Felsens ein Tuch gespannt, damit sich Siegfried darunter möglichst unauffällig, aber doch unfreiwillig sichtbar, in Schlafposition begeben kann.

Anstelle von Personenregie beschäftigen die zumeist sehr beliebig wirkenden Videoprojektionen von Arjen Klerkx und Kurt D'Haeseleer den Zuschauer mit der Frage, welcher Kopf oder Körper sich in der verzerrten Bildbotschaft gerade verbergen könnte. Kostümbildner Tim van Steenbergen macht aus den Gibichungen uniforme Hosenträger-Träger, die sich erst für die letzten Takte des zweiten Aufzugs Jacken anziehen und Zylinder aufsetzen, wohl um dann der als Fiakermilli verkleideten Gutrune zu entsprechen, während König Gunther einen gefleckten Gehrock zur Schau trägt.

Jene fünf Tänzer, die – offenbar als eine arme Folgeerscheinung des getanzten Feuers in Joachim Herz’ Leipziger „Ring“-Inszenierung – in Cassiers’ „Siegfried“ nach Fafners Tod sich zu Siegfried gesellt und mit ihren Schwertern Symbole geformt hatten, spielen nun in Viererformation den Tarnhelm, besiegen und unterwerfen Brünnhilde im Kollektiv (Choreographie: Luc de Wit).

Zu einem der wenigen szenisch anrührenden Momente gehört die versöhnliche Umarmung Gutrunes durch Brünnhilde vor dem Schlussgesang – ganz neu ist sie allerdings nicht. Das bereits am Ende des „Rheingold“, im zweiten Aufzug der „Walküre“ und im Schlussakt des „Siegfried “ zitierte Marmorrelief von Jef Lambeaux, „Die unendlichen Leidenschaften“, senkt sich am Ende der „Götterdämmerung“ herab als Schlussaussage zum hoffenden Erlösungsgedanken in der Musik; und wer so lange auf dieses in den Projektionen immer wieder beschworene Relief gewartet hat, kann es nun als Relief-Kopie auf der Courtine auch endlich etwas besser erkennen.

Angesichts der Beliebigkeit auf der Szene, bleibt Daniel Barenboims Interpretation nachhaltiger in Erinnerung als beim Bayreuther „Ring“ in der Inszenierung von Harry Kupfer, wo Barenboims musikalische Interpretation gleichwohl vielmehr den musikdramatischen Punkt getroffen hat. In der Berliner Staatsoper im Schiller-Theater sind es verblüffende Pianisissimi, mit denen die Staatskapelle und die Solisten unter Barenboims Leistung am dritten Tag des Bühnenfestspiels wetteifern. Dagegen stehen besonders brutale, geradezu unflätige Akzente der tiefen Bläser, aber auch nachbeethovensche Naturidylle und nachwebersche Wald- und Jagdromantik.

Weitere Aufführungen: 6., 10., 24. März, 10., 21. April 2013

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!