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Sorgsames Aufspüren eigener Potentiale: der Geiger und Pädagoge. Ingolf Turban. Foto: Dorothee Falke, München
Sorgsames Aufspüren eigener Potentiale: der Geiger und Pädagoge. Ingolf Turban. Foto: Dorothee Falke, München
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„Ungeahnte Möglichkeiten provozieren“: Eindrücke von einem Workshop mit Ingolf Turban

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„Ich lasse mich gerne überraschen“, sagt Ingolf Turban. Deshalb gibt es bei Violinkursen und -workshops des Münchner Hochschulprofessors selten Teilnahmebeschränkungen. Nur die Teilnehmerzahl von 12 war daher, der knapp bemessenen Zeit geschuldet, im Wochenend-Workshop des Tonkünstlerverbandes Bayern vorgegeben. Wer kommen würde, in welchem Alter und mit welchem Stück, das erfuhr Turban erst vor Ort, im Chorsaal seiner Wirkungsstätte. Eigene Schüler waren nicht dabei: „Die sollen sich lieber woanders ihre Vitamine holen“, empfiehlt Turban.

Der erste Nachmittagsblock ist durchaus repräsentativ für den Ablauf des Workshops. Die Überzahl der weiblichen Violinschüler wird sogleich deutlich. Das Alter spannt sich zwischen 12 und 18 Jahren, das Repertoire von Mozart und Beethoven über Saint-Saëns und de Bériot bis hin zu Grieg sorgt für spannende Abwechslung. Die spieltechnische und musikalische Reife der Geigerinnen variiert ebenso stark, doch das soll hier kein Thema sein. Ingolf Turban geht es nicht um Perfektion, vielmehr um die Entdeckung der Musik hinter der Partitur. Um das vertiefen aus dem aktuellen Niveau heraus.

„Der schiere Konkurrenzkampf tobt unvergleichlich heftiger“, beobachtet Turban unter den Geigenschülern mit skeptischem Blick. „Spiel meinetwegen die falschesten Noten der Welt, aber mach Oper“, heißt es deshalb auch mal im Kopfsatz von Mozarts G-Dur-Konzert. Mit wenigen humorvoll umschreibenden Worten bringt Turban sogleich einen narrativen Charakter hinein, nicht ohne die Vorstellung einer Sopran-Diva auf den Plan zu rufen. Die Verlagerung auf die Ausdrucksfähigkeit relativiert schnell die anfängliche Einschätzung des Niveaus.

In Griegs 3. Satz der G-Dur-Sonate darf Korrepetitorin Tomoko Nishikawa pausieren, denn eine Geigerin brachte ihre pianistisch hochbegabte Zwillingsschwester mit. Zusammen erschließen die Zwölfjährigen den tänzerischen Charakter, suchen vor allem aber nach dem passenden Geigenvibrato, das mit dem Raum korrespondiert und dadurch den Klang weit besser entfaltet.

Ein Schwerpunkt im Workshop und in der pädagogischen Arbeit von Ingolf Turban ist immer auch das richtige Üben. Sein „Fantasieüben“ kommt im Workshop mehrmals zum Zug und überzeugt mit schnellen Resultaten. Am Anfang steht darin eine Fantasievorstellung, die sich anschließend mit variierenden Spielweisen der Intention des Komponisten annähert. Eine Anerziehung von der Klangvorstellung heraus sei damit gemeint, erläutert Turban. Mit kleinen Selbstüberlistungen, Korrekturen der Bogenführung und Körperhaltung, auch schon mal mit präzisierendem Interpretieren der Partitur gelingt es ihm, innerhalb weniger Minuten hörbare Ergebnisse zu erzielen.

Die oberste Prämisse ist für den Pädagogen Ingolf Turban die Motivation. Viel Lob ist auch zu hören, erst recht wenn er einen Sonatensatz von Beethoven als in diesem Rahmen kaum noch verbesserbar bezeichnen darf. Auch das kommt in den Überraschungskursen vor. „Die Begabungsdichte scheint zugenommen zu haben“, resümiert Turban aus seiner 17jährigen Unterrichtstätigkeit. Doch das soll kein Grund sein, „zu ziehen“, die Entwicklung zu forcieren. Turbans didaktisches Konzept ziele denn auch aufs sorgsames Aufspüren eigener Potentiale, dazu auf einen gewissen Spiegelaspekt hin, der bewirken soll, „vom Teilnehmer ungeahnte Möglichkeiten zu provozieren“. Deshalb hält sich der international renommierte Geiger auch mit Kostproben seiner Meisterschaft zurück. Er könnte seine Stradivari hervorholen und mit einer virtuosen Darbietung vorführen, wie er ein bestimmtes Werk interpretieren würde. Das tut er aber nicht. Wenn er etwas demonstriert, dann grundsätzlich auf dem Instrument des Schülers. Zu hören, was im eigenen Instrument steckt, ist dabei auch eine Art des Ansporns.

Grundsätzlich steht Ingolf Turban der Entwicklung beim Nachwuchs im Konzertbetrieb sehr Kritisch gegenüber. Der auf Karriere („eindimensionales berufliches Zielbewusstsein“) bedachte Konkurrenzkampf bewirke, dass sich die Studenten dem Selbstzweifel entziehen und „unproblematisch in ihrem Spiel bleiben wollen“. Die Bemühung, en vogue zu sein und einem gewissen Pragmatismus zu huldigen, werde „unter den Karrieristen dieses Berufs mit einigem Stolz vorgelebt“, kritisiert Turban: „Für diese Selbstsicherheit habe ich wenig Verständnis“. Strenge Worte für den sonst so zurückhaltenden Geiger. Doch es geht ihm hier um eine rein musikalische Haltung, die als Maßstab den Komponisten in seinem Umfeld und seine Werke vorhält und dem Interpreten voranstellt. „Wenn erlaubt ist, was sich gut verkauft, dann werde ich giftig“.

 

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