Charlotte Seither schrieb ihm ein Duo zweier Bassklarinetten, deren Zusammenklang ein changierender ist. Sergej Newski, ein späterer Schüler, hat dem Widerspruchsgeist seines Lehrers strukturell zu entsprechen versucht. Kollege Dieter Schnebel berief sich in seinem Kurz-Melodram auf Vergnügungen im höheren Alter. Christfried Schmidt steuerte ein die Romantik paraphrasierendes Horntrio bei. Und Friedrich Schenker bot gestisch Deftiges in Sachen Kunst und Politik.
Die meisten der vierzehn Kompositionen, die hier in Zepernick im Hinblick auf Friedrich Goldmanns ersten Todestag gebündelt (ur)aufgeführt wurden, blieben in ihrer Ausrichtung leise, persönlich, nach innen gekehrt. Nichtsdestotrotz war der zweistündige Reigen kleinbesetzter neuer Werke „in memoriam F.G.“ der Höhepunkt der Randspiele 2010. Angehörige, Schüler, Weggefährten aus verschiedener Zeit waren in die kleine St. Annen-Kirche im Nordosten der Hauptstadt gekommen, um des Berliner Kompositionslehrers zu gedenken. Goldmann indes, einer der Querständigen der einstigen DDR-Avantgarde, hätte über derart Ritual womöglich gelacht. Trauer ohne ästhetischen Querstand, das wäre für ihn ein Mangel an Dialektik gewesen.
Vermutlich hätten auch ihn vielmehr jene sehr jungen Musiker interessiert, die beim 18. Festival-Jahrgang verstreut an vier Konzerttagen auftraten: Nathan Plante aus Kalifornien etwa, der in Berlin an der Eisler-Hochschule bei Bill Forman studiert und dem Helmut Zapf ein kluges, klangschönes Trompetenstück schrieb. Oder die britische Saxophonistin Meriel Price, die Eunsil Kwons Solo „Gil“ darbot. Oder der junge spanische Oboist Guillermo Sanchis, oder der viel versprechende Komponist Kaspar Querfurth, der jetzt bei Dieter Mack in Lübeck studiert.
Dem Nachwuchs ein Podium zu bieten, ist in Zepernick seit langem Programm. Dazu kommen der Mut zu inhomogenen Programmen mit Entdeckungen, zuweilen auch Unfertigem, und die freundliche Chuzpe, mit der das Festival Jahr für Jahr schlichtweg Aufstörendes in die brandenburgische Ortschaft einbringt. Unermüdlich wirken Festivalchef Helmut Zapf und Kantorin Karin Zapf an der Verankerung in der Gemeinde – und schicken Avancierte und Experimentelle alljährlich auf Sound-Tour in Häuser, Höfe, Scheunen in der Region. Und selbstverständlich bilden die älteren, im Umland der Hauptstadt beheimateten Komponisten mit ihren neuesten oder vergessenen Werken den Grundstock der Zepernicker Konzerte. Bürgermeister Rainer Fornell seinerseits schätzt das internationale Flair, das bei den Randfestspielen aus klugen Kooperationen her rührt. Neben Schweizer Impressionen mit Thomas Bächli und Egidius Streiff wurde die 2008 begonnene Begegnung mit Seoul weiter vertieft. Das Daegu Modern Ensemble bot südkoreanisches Komponieren höchst unterschiedlicher Handschrift, wobei die spannenden Stücke von den Älteren kamen: etwa Juseub Lims klangfarblich reizvolle „Elegy“ für Bläserquintett und In-Sun Chos Jakobsweg-Phantasie für solistischen Kontrabass mit Perkussion.
Vom Unisono, das das Festivalmotto verhieß – blieben die Randspiele, die nunmehr „Randfestspiele“ heißen, auch in 2010 weit entfernt. Genau das Gegenteil zeichnet sie aus: dass Vieles möglich ist, Disparates zu seinem Recht kommt. Derlei Vielgestalt, die nichts und niemanden ausschließt, darf man im 18. Veranstaltungsjahr als entscheidendes Gütesiegel bezeichnen – es charakterisiert ein tapferes, gleichwohl chronisch unterfinanziertes Konzert-Festival in einer Region, wo avanciertes Komponieren nicht zu den politischen Highlights gehört. Gemeinsam mit der Bundesmusikakademie Rheinsberg, dem Philharmonischen Orchester in Cottbus, dem Brandenburger Theater und den Potsdamer „Intersonanzen“ gehören die „Randfestspiele“ zu den überschaubaren Initiativen neuer Musik zwischen Havel und Spree – sie engagieren sich mit viel Idealismus, nicht mittels Fördermillionen.
Mir persönlich fielen in Zepernick noch mehrere Arbeiten auf, die ich gern andernorts, in anderem Kontext gern noch einmal nachhören würde: Lothar Voigtländers wütend hämmerndes Klaviertrio „Variations sur un mode sentimenal“, Peter Köszeghy’s vielleicht ein wenig angeberische, aber opulente Komposition „Priapos“ für vier Bläser, vier Sänger und Zuspiel sowie Michael Hirschs introvertiertes, klangscheues Streichquartett . Mit Letzterem begann in Zepernick das Abschlußkonzert mit dem fantastisch disponierten Sonar Quartett aus Berlin.