Will ein zeitgenössischer Komponist nicht nur für die Schublade komponieren, so empfiehlt es sich meist eher für kleinere Besetzungen schreiben. Sonst kann eine Uraufführung nämlich schnell mal aus Kostengründen scheitern. Größere Dimensionen lassen sich heute fast nur mit einem starken Partner im Rücken erreichen. Doch zum Glück gibt es ja nach wie vor genügend Ensembles, die sich hier nicht zurückhalten. Ambitioniert zeigt sich in dieser Hinsicht unter anderem auch der Bayerische Rundfunk, der im Rahmen seiner „Musica Viva“ regelmäßig Auftragskompositionen vergibt.
Und was den Hörer nun bei der jüngsten Uraufführung erwartete, wurde schon beim Blick auf den Titel klar. „Masse“, das siebte Werk eines neunteiligen Zyklus von Moritz Eggert, unterliegt keinerlei Sparzwängen. Eggert hat hörbar Freude am großen Format, ergreift die Gelegenheit beim Schopfe und beschäftigt über eine knappe halbe Stunde fast durchgehend den gesamten Orchesterapparat. 68 Musiker, deren Stimmen in der Partitur gleich in 42 Systemen notiert sind. Woraus sich dann aber auch fast schon von selbst erklärt, warum die ganze Angelegenheit ab und zu vielleicht doch ein wenig diffus und unübersichtlich gerät.
Alles in allem hat Dirigent Peter Rundel das Symphonieorchester des BR jedoch gut im Griff und steuert seine Musiker sicher durch die aufrüttelnde Komposition. Die gibt sich anfangs eher stockend, immer wieder von Pausen unterbrochen, ehe die Sache langsam in Fahrt kommt. Zunächst wie eine gleichmäßig schnaubende Dampflok, dann immer wilder, bis man sich fast in einer Fortsetzung von Strawinskys „Sacre“ glauben könnte. Als Ballettmusik ist „Masse“ zwar nicht gedacht, dafür setzt sich aber am Ende das Orchester gleich selbst in Bewegung und darf wild mit den Füßen stampfen, ehe das Werk mit Solovioline und vier kaum zu hörenden Hundepfeifen einen ebenso unerwarteten wie kontrastreichen Abschluss findet.
Sparsamer mit seinen Mitteln ist da Dieter Schnebel, der hier im Münchner Herkulessaal anlässlich seines 80. Geburtstages ebenfalls noch einmal die Ovationen des Publikums entgegen nehmen durfte. Und obwohl zwischen den beiden Teilen seiner „Canones“ beinahe zwei Jahrzehnte liegen, unterstreichen sowohl das sich langsam herantastende „Motu proprio“ als auch „Diapason“ die künstlerische Auffassung des Komponisten. Schnebel ist kein Mann, der das Neue einfach nur durch einen radikalen Bruch mit dem Alten erreichen kann oder will, sondern einer, dessen Musik fest in der Tradition verankert bleibt. Einer, der Vertrautes aufgreift, es aber an seine Grenzen treibt und so eine veränderte Sichtweise ermöglicht.
Solch neue Perspektiven sucht der Franzose Brice Pauset vor allem durch eine abstrakte und assoziative Herangehensweise. Doch restlos glücklich wird man damit zumindest bei seinen „Erstarrten Schatten“ nicht. Ebenfalls als Kompositionsauftrag der Musica Viva entstanden, wurde dieses Werk vom Bombenangriff auf Hiroshima inspiriert. Womit es etwas thematisieren will, das sich in seinem vollen Ausmaß eigentlich kaum angemessen artikulieren lässt. Sei es nun in Worten, Bildern oder Tönen. Ein Umstand, dessen sich wohl auch der Komponist selbst bewusst zu sein scheint. Bastelt er doch hauptsächlich geräuschhafte Klanggebilde, die sich aus vielen Schichten zusammensetzen und ihre konsequente Fortsetzung in den Einwürfen der Neuen Vocalsolisten aus Stuttgart finden.
Auch hier beherrschen zischende, röchelnde und knackende Laute das Klangbild, wodurch das gesungene Wort meist ebenso unverständlich bleibt wie die dumpfen Tonbandzuspielungen, die den Hörer zwar ahnen lassen, aber nie wirklich greifbar sind.