„Cantionale“ assoziiert irgendwie sportiven Wettbewerb. Und auch der mag ja gemeint sein, wenn das evangelisch-lutherische Dekanat München in relativ regelmäßigen Abständen aufruft zur gesanglichen Leistungsschau. Das fördert soziale Netzwerke ebenso wie den gesunden Ehrgeiz, das fordert auch die Kollegen von der anderen, der katholischen Fraktion, heraus. Und München bietet ja gerade auf dem Sektor Kirchenmusik schier unüberschaubare Fülle, so dass eine Kontrolle zuweilen Sinn macht.
Nach „Bach 2000“ mit „Jeden Sonntag eine Kantate“ und dem gesamten Orgelwerk, nach „Mozart evangelisch“ anno 2006 und Buxtehude 2007 war im Jahr 2009 das Motto „Te Deum laudamus“ auserkoren worden. Als zentraler Ort der nicht nach K.O.-Kriterien angelegten sozialen und künstlerischen Aktion war es die Lukas-Kirche an der im Sommer 2009 wahrlich rasenden und reißenden grünen Isar, die das Podium zu stellen hatte. Nach optischen und stadtbildprägenden Kriterien aus der Perspektive von „rechts der Isar“ aus gesehen optimal.
Fürs Wesentliche an diesem Abend, für die Wahrnehmung klar konturierter musikalischer Stimmenverläufe dagegen höchst problematisch. Da Nachhall und Hallen-Halligkeit für höchste Unklarheit sorgten, blieb die Detailarbeit hallig-verschwommen. Und so ließ sich nun wahrlich nicht die Relation der einzelnen chorischen Spezialleistungen herauskristallisieren. Herauszuhören blieb dennoch nicht nur hohes und höchstes Engagement eines jeden Einzelnen sondern der professionelle Gesamtanspruch der ganzen Unternehmung.
Programmatisch an den musikalischen Jubilaren anno ’09 orientiert suchten wir bei Händels Utrechter Te Deum nicht annähernd so lange nach musikalischer Qualität wie in seinen Opern (wo ja zuweilen Stunden vergehen, ehe ein einziger Takt wahrer Musik erklingt), Haydns Te Deum verlinkte mit Wiener klassischem Kirchenmusikalltag, Lawrence Traiger – geboren 1956 – präsentierte seine „Gebete ohne Worte“ und wollte der im jüdischen verankerten Glaubenshaltung, dass der Name Gottes unaussprechlich sei, musikalische Gestalt geben. Was kompositorisch durchaus unverbindlich blieb.
Der Chor der Erlöserkirche samt Gästen bemühte sich hörbar redlich unter KMD Michael Grill, Haydn war beim Markus-Chor in köstlichen Kehlen (Leitung: KMD Holger Boenstedt) und Händels Qualitäten wurden von der Capella Trinitatis, angeleitet von KMD Georg Ziethe, bestens herausgearbeitet.
Dass dem Göttlichen durchaus mit Worten beizukommen ist, erwies sich nicht nur bei Felix Mendelssohn Bartholdys zweiter Symphonie „Lobgesang“. Doch da am nachdrücklichsten und eindringlichsten. Dass dieses Riesenwerk nicht der Proportion wegen zum Höhepunkt des Abends geriet, liegt an des Komponisten Textauswahl, an der Qualität der Komposition, am Konzept des Dirigenten KMD Klaus Geitner nicht zuletzt. Und der hat ja im Lauf der Jahre den Chor der Himmelfahrtskirche München-Sendling zu einem Ensemble der Sonderklasse geformt. (Ob er nicht häufiger sich auch um das rein symphonische Repertoire kümmern sollte, müsste Klaus Geitner einmal überdenken).
Dieser musikalisch insgesamt große Abend hätte bessere akustische Verhältnisse verdient – und nicht nur dem Hörensagen nach soll es ja in München akustisch einwandfreie (zumal auch evangelische) Kirchen geben. Andererseits galt es an diesem Abend freilich auch an den hohen finanziellen Aufwand zu erinnern, der für die sanierungsbedürftige Sankt Lukas-Kirche erforderlich ist…
Trotzdem: Die Dirigenten, die Solistinnen und die Solisten Marina Ulewicz, Josette Micheler, Sopran, die Tenöre Markus Durst und Andrew Lepri Meyer sowie Christian Eberl, Bass und die wahrhaft von Händel über Haydn und Traiger bis zu Mendelssohn durchschlagende Capella Istropolitana verdienen alle miteinander räumliche Verhältnisse, die in gesunder Relation zur gebotenen gehobenen Kategorie der Gesamtleistung passen.