„Kulturelle Bildung“ heißt in dieser Ausgabe unser Schwerpunktthema, über das wir in Berlin mit drei Fach-Menschen diskutiert haben (Seiten 19–21). Es mag an der Zusammensetzung dieser Runde liegen, aber auch die aktuelle Situation des Themas widerspiegeln, dass die „Musikvermittlung“ gegenüber den klassischen Feldern der musikalischen Bildung deutlich mehr Raum einnimmt.
Tatsächlich ist die Vermittlung, wie Lydia Grün, Geschäftsführerin des netzwerk junge ohren, es sagt, ein relativ junges Feld. Für den Musikunterricht an der allgemeinbildenden Schule und den Instrumentalunterricht an der Musikschule trifft dies allerding nicht zu. Ist diese Verlagerung ein Zeichen der Zeit? Fakt ist: Kein noch so gelungenes Musikvermittlungsprojekt oder -programm kann musikalische Bildung so kontinuierlich – wenn es gut läuft über Jahre hinweg – bieten wie Schule oder Musikschule. Aber: Das Geld fließt zunehmend in zeitlich begrenzte Projekte, während wir in anderen Bereichen, insbesondere dem der freiberuflichen oder auch angestellten Instrumentalpädagogen immer öfter von prekären Arbeitsverhältnissen sprechen müssen. Auch Musikvermittlerinnen und -vermittler sind im Übrigen finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet. Da stimmt doch etwas nicht!
Überragende Bedeutung?
„Kulturelle Bildung hat eine überragende Bedeutung für die individuelle Persönlichkeitsentfaltung wie auch für das Selbstverständnis und die Teilhabe an unserer Gesellschaft“, heißt es im Koalitionsvertrag der neuen GroKo. Wenn die musikalische Bildung tatsächlich so wertvoll für unsere Gesellschaft, gerade auch für Kinder und Jugendliche ist, wie es in den viel bemühten Sonntagsreden gerne betont wird, dann muss man sich nicht nur fragen, warum sie dieser Gesellschaft dann nicht mehr „wert“ ist, sondern auch, warum auf der einen Seite neue Füllhörner entstehen, in anderen Bereichen aber der professionelle Nachwuchs fehlt, weil man als Geigenlehrer seine Miete schlicht nicht mehr bezahlen kann.
Kultur macht stark?
Bestes Beispiel ist das vom Bildungsministerium ins Leben gerufene Programm „Kultur macht stark“, viel gelobt von den meisten Programmpartnern, die aus diesem Füllhorn Geld verteilen dürfen (siehe S. 20). Da werden Millionen in Bündnisse vor Ort gesteckt – und ganz sicher haben viele tausend Kinder und Jugendliche hier schöne Projekte, Aufführungen, Freizeiten erlebt, von denen sie lange zehren können. Aber nachhaltig – im Sinne einer kontinuierlichen und langfristig angelegten musikalischen Bildung für das einzelne Kind – sind diese Projekte kaum. Genauso schwerwiegend ist die Frage, ob es tatsächlich Aufgabe eines Ministeriums ist, gravierend inhaltlich mitzubestimmen, wie kulturelle Bildung gestaltet wird. „Der Gedanke der Projektförderung ist eigentlich ein Vertrauensentzug“, sagt Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss in unserem Berliner Gespräch. Aufgabe der Politik ist es, Kultur und kulturelle Bildung zu ermöglichen, nicht sie zu gestalten. Wer zahlt, schafft an? Hier zahlt allerdings kein Ministerium, sondern der Steuerzahler, der immerhin durch zivilgesellschaftliche Institutionen gar nicht so schlecht vertreten wird. Das geforderte Vertrauen in deren Kompetenz wäre dringend zurückzugeben.
Jetzt kommen auch noch die Stiftungen, die nun wirklich (unternehmens-)eigenes Geld in das Feld der kulturellen Bildung schütten. Sie setzen Themen und bestimmen Tendenzen mit. Ist hier Misstrauen angebracht? Man denke an Unternehmen, die – in anderen Fächern – gezielt Lehre und Forschung an Hochschulen fördern, um eigene wirtschaftliche Interessen voranzubringen und damit der Freiheit der Lehre quasi ein Ende setzen. In seinem Buch „Ware Bildung“ beschreibt der Kunstpädagoge Jochen Krautz im Übrigen klare Tendenzen dahingehend, dass auch Schulen inzwischen zunehmend solchen wirtschaftlichen Einflüssen ausgesetzt sind. PISA und die darauf folgende starke Aufwertung der MINT-Fächer sind ein Zeichen für die immer stärker zweckorientiert ausgerichtete Gestaltung schulischer Bildung. Mit der Frage, ob die Gefahr einer interessengesteuerten Drittmittelfinanzierung auch für die Kultur lauert und welche Rolle Stiftungen in diesem Feld spielen, beschäftigen wir uns intensiv in der nächsten Ausgabe der nmz.
Lückenfüller Stiftung?
Vielleicht füllen solche Stiftungen aber auch nur eine Lücke und sehen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die von keinem anderen (mehr) ausreichend wahrgenommen wird. Von der Aufgabe der Demokratiestärkung ist in der Berliner Runde ausführlich die Rede, einer Aufgabe, die sicher nie so bedeutend, aber auch so herausfordernd war wie heute. Hier allerdings wäre es dringend nötig, dass alle Kräfte zusammenwirken: Schule, außerschulische pädagogische Partner, Stiftungen, öffentliche Hand und Zivilgesellschaft. Über die Frage, ob und wie musikalische Bildung politisch sein oder werden muss, wie sie dazu beitragen kann, gerade junge Menschen zu aufgeklärten, weltoffenen und demokratiebewussten Persönlichkeiten heranzuziehen, wie sie der beschriebenen Ökonomisierung unserer Welt entgegenwirken kann, wird sicher aktuell noch nicht genügend nachgedacht und gesprochen. Der Elfenbeinturm als Ort der Kultur, sollte es ihn jemals gegeben haben, ist jedenfalls passé. Der Frage nach gesellschaftlicher und politischer Verantwortung müssen sich alle Akteure der kulturellen und der musikalischen Bildung stellen. Dafür kann im Übrigen gar nicht genug Geld ausgegeben werden – aber bitte nach einem breiten und offenen Diskurs in der Fachwelt – und dann an den richtigen Stellen!