Konnte Richard Wagner nach der Uraufführung seines „Parsifal“ noch behaupten, dass jeder Mitwirkende getan habe, was er wolle, also „das Richtige“, womit Wagner der Anarchie ihren Sieg attestierte, so gilt dies nicht mehr für sein heutiges Bayreuther Festspiel: international gastierende Sängerdarsteller nehmen sich, mangels einer deutlichen Regie-Handschrift, aus ihren höchst unterschiedlichen Inszenierungen heraus, was andernorts oder nennenswerte Anstrengungen möglich war und für Effekt gesorgt hatte.
So trifft der Zuschauer inmitten nichtssagender Allgemeingesten auf ein Sammelsurium skurriler Zutaten.
Dabei ist festzuhalten, dass der regieführende Dramatiker Tankred Dorst durchaus im Sinne der „Werkstatt Bayreuth“ auch noch im Jahr der fünften Reprise an der szenischen Realisierung weiter gearbeitet und Details modifiziert hat.
So verhöhnen etwa die Nibelungen im Abschlussjahr dieser Produktion den gefesselten Alberich und drehen ihm Nasen (und dies, obgleich er noch im Besitz und in der Macht des Ringes ist!). Und in der „Walküre“ schaut Wotan wiederholt durch das Oberlicht der Fensterfront dem Treiben seiner Zwillingskinder zu. Wenn Sieglinde vom Bach singt, in dem sie ihr Spiegelbild gesehen hat, erfüllt den halben Raum kurz darauf eine Wasserprojektion, – ebenso sinnwidrig, wie die Verdunklung der Halle für einen leuchtenden Schlaftrunk oder der wiederholte Einsatz von Konzentrations-Spots.
Grundsätzlich ändern solche Details nichts an der Beliebigkeit dieser Lesart, deren einzige Besonderheit sich besonders rasch verbraucht hatte, dass nämlich heutige Touristen, Techniker und Kinder, von Göttern und Helden unbeachtet, für eine Überschneidung der Zeitebenen sorgen; da sich die Statisten ungekonnt und noch gestelzter bewegen als die meisten Sänger, wirkt die papierene Idee bei wiederholten Betrachten gesteigert peinlich.
Der Weg der halbszenischen Realisierung, mit einer Aufteilung von Sängern und Darstellern, wie im ersten Bild des „Rheingold“, wäre da besser gewesen, weil konsequenter zu beschreiten: so gibt es im ersten Bild drei Rheintöchter, die im Kostüm von Fisch Nemo unbeweglich sitzen und singen, während vier blau trikotierte Doubles sich auf und zwischen den blauen Rundsteinen räkeln, sowie drei (beim Applaus im Bademantel auftretende) Doubles, die nackt schwimmend auf die obere Abdeckung des Flussbettes projiziert werden. Diese Praxis wird aber ab dem zweiten Bild aufgegeben und auch später nicht wieder eingesetzt. Das Sprichwort vom Einäugigen, der unter Blinden der König ist, scheint im „Rheingold“ für den Loge von Arnold Bezuyen zuzutreffen, mehr Hütchenspieler als personifiziertes Feuer oder verkörperter Intellekt.
Zurecht gefeiert wurde – nach einer erfolglos immer wieder aufs Neue versuchten Siegmund-Besetzung in den Vorjahren – der stimmlich zum echten Heldentenor gereifte Johan Botha. Er meistert der den Draufgänger Siegmund (leider mit einem Frosch beim „Wälsungenblut“ am Ende des ersten Aufzuges) insgesamt stimmlich bravourös. In seiner Körperfülle gemahnt Botha an den Uraufführungs-Tristan Friedrich Schnorr von Carolsfeld, der allerdings – Wagners Erinnerungen zu Folge – durchaus beweglich und facettenreich agiert haben soll, was für den südafrikanischen Sänger leider nicht zu attestieren ist.
Die erstmals die Sieglinde verkörpernde Edith Haller setzt stimmlich auf kraftvolles Forte (und dies leider bereits am Vorabend in der Partie der Freia) und hat damit Erfolg. Albert Dohmen beherrscht den Wotan, singt ihn kraftvoll und sogar nuancenreich, aber man glaubt ihm den Göttervater in seinem Zwiespalt leider eben so wenig, wie der routiniert stimmgewaltigen Linda Watson ihre Emotionswechsel als Brünnhilde.
Natürlich kennt Christian Thielemann, der nach der „Walküre“ für sein 100. Dirigat im magischen Abgrund geehrt wurde, jede Nuance der Partitur, weiß die Klanggruppen zu schichten und wirkungsvolle Wirkungen zu erzielen. Aber, wie Wieland Wagner zu sagen pflegte, „Inszenieren heißt interpretieren“, und mindestens ebenso trifft diese Definition für das Wirken des Dirigenten zu. Jenseits von l’art pour l’art gilt es, im Dialog mit der Szene oder auch in Reibung zu ihr, Aussagen zu treffen. Statt dessen tönt unter Thielemann wohl geordnete Beliebigkeit, als unangenehme Spätfolge des von diesem Dirigenten für sich erkämpften Primats der Musik – und dies auch im Gegensatz zu Richard Wagner, der für Bayreuth das Primat der Szene postuliert hatte.
Zumindest aber dürfte der Zuhörer im Falle eines solchen Primats seitens des Dirigenten erwarten, dass nicht nur im bestens disponierten Orchester, sondern auch bei den Solisten rhythmische Präzision, Textgenauigkeit und Textverständlichkeit gegeben ist. Dies aber ist leider nicht der Fall.