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Leonard Bernstein. Foto: Marion S. Trikosko/Wikimedia Commons
Leonard Bernstein. Foto: Marion S. Trikosko/Wikimedia Commons
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Viertelszenisch: Bernsteins „Candide“ mit Loriots Texten als Star-Event an der Deutschen Oper Berlin

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Die Geschichte, rund um die jüngste Opernproduktion an der Deutschen Oper Berlin ist fast so abenteuerlich, wie die Handlung von Leonard Bernsteins „Candide“ selbst: Alard von Rohr, Sohn des Stuttgarter Bassisten Otto von Rohr und einer der engsten Mitarbeiter von Götz Friedrich in der künstlerischen Administration der Deutschen Oper Berlin, wurde nach wenigen Monaten als Kulturstaatssekretär im Jahre 2000 in den Ruhestand versetzt und wirkt nun als Kaufmann- und Netrebko-Schrott-Verwerter im Konzertgeschäft von „Gipfeltreffen der Stars“. Mit der Firma „A-Pro Just Classics! GmbH“, die ihre Arbeit im Jahre 2003, mit einem Konzert zum 80. Geburtstag von Loriot“ aufgenommen hatte, mischte er nun das Programmangebot der Deutschen Oper Berlin auf.

Der verkaufsträchtig als „Musical“ und „zum Gedenken an Loriot“ angekündigte Abend mit Kartenpreisen bis zu 154 Euro, verkaufte sich dann aber offenbar doch nicht so gut wie erwartet: trotz Sonderangeboten an soziale Netzwerk-Clubs und einer Karten-Verschenk-Aktion am Vormittag der Premiere in Radio Berlin-Brandenburg, gab es am Abend im Parkett reihenweise freie Plätze. Dies mag daran liegen, dass sich das mehr konzertant denn halbszenisch aufgeführte Werk nach Anlauf der Planung als Dublette zur szenischen Produktion an der Staatsoper erwies, und dass der als Star des Abends mit Loriots vermittelnden Texten angekündigte Schauspieler Ben Becker kürzlich auch in einer Staatsopern-Produktion zu erleben war (wenig überzeugend in „Orpheus in der Unterwelt“).

Nun, als Sprecher an einem Tischchen mit Standmikrophon, schlüpft Becker in seiner Tongebung zunächst in die Rolle eines Imitators von Loriot, der ursprünglich selbst als Star dieses Abends vorgesehen war. Becker untermalt Vicco von Bülows Texte, die wenig von ihrem Reiz verloren haben, obgleich ihr seinerzeit böser Biss zwischenzeitlich zahnlos geworden ist, mit grobschlächtiger Gestik.

Candides verrückte Reise um die Welt, in Hörigkeit zu seiner Cunegonde (bei Loriot schlichtweg „Kundigunde“), ist politically correct erzählt, sie enthält weder Candides eifersüchtigen Mord an einem Erzbischof und einem Juden, noch dessen Erschießen zweier Affen als den Lovern von seiner dirnenhaften Freundin und ihrer Gesellschafterin. Durch die Zwischentexte von Loriot, einem „Ehrenmitglied der Deutschen Oper Berlin und des Orchesters der Deutschen Oper Berlin“, erscheint die aufgebotene Handlung tatsächlich so absurd, und eine Bühnenrealisierung so unmöglich, dass die Inszenierung an der schräg gegenüber liegenden Staatsoper nachträglich als das Vollbringen des Unmöglichen zu werten ist. In musikalischer Hinsicht liegt ein Vergleich allerdings nahe.

Während dort Bernsteins vorletzte Fassung von 1989 für die Scottish Opera zu erleben ist, geht aus dem Programmheft der Deutschen Oper Berlin nicht hervor, um welche der zahlreichen Fassungen des Komponisten es sich handelt; vermutlich ist es dessen letzte Version von 1974. Musikalisch erklingt dabei Manches, was gegenüber, im Schillertheater, nicht zu hören ist und umgekehrt.

Donald Runnicles dirigiert die oft vertrackte Rhythmik mit Links, und das Orchester der Deutschen Oper Berlin liebt ihn vorbehaltlos, was in wunderbarer Klangpracht zum Ausdruck kommt, in welcher die charakterisierend schrägen Klangmomente um so skurriler wirken. (Ein Paradigmenwechsel innerhalb eines guten Jahrhunderts ist zu konstatieren: Siegfried Wagner, der ursprünglich auch mit der linken Hand dirigiert hat, musste sich noch umerziehen, weil die Musiker nicht bereit waren, sich einem links dirigierenden Dirigenten unterzuordnen!)

Der von William Spaulding einstudierte Chor der Deutschen Oper Berlin zeigt Mut zur Groteske, wenn er zunächst a cappella in Gesangsverein-Manier quäkt, um allerdings sofort darauf mit chorischer Stimmkultur zu brillieren. Die weiteren Rollenspiele des Chores in dieser Handlung – insbesondere als Kinderchöre, u. a. als „Wiener Sängerknaben“ – werden dann aber klanglich nicht mehr berücksichtigt. Und szenisch ist ein Heben der Arme bei einem entsetzten Aufschrei das Maximum, obgleich der Besetzungszettel sogar zwei Spielleiterinnen namentlich benennt. Sie sind offenbar dafür verantwortlich, dass die fünf abgewirtschafteten Könige goldene Papierkronen tragen oder später, beim venezianischen Karneval, die Darsteller Larven anlegen (aber im Gegensatz zum textlichen „Maskenzwang“ leider nicht alle). Da hat das Konzerthaus Berlin in seinen halbszenischen Opernproduktionen der vergangenen Jahre wahrlich andere Pranken gezeigt. Szenischer Höhepunkt ist der Charaktertenor Burkhard Ulrich, der als Gouverneur mit blendend weißem Gebiss grimassiert, die Zeitung „El Pais“ liest und – auf Deutsch – „Ruhe“ gegen das Geschnatter seiner Geliebten und ihrer Gesellschafterin exklamiert.

Die an diesem Haus sogar bei deutschsprachigen Opern übliche Übertitelung wäre durchaus hilfreich gewesen: wie das Ausbleiben von Lachern im Wortwitz der Komposition zeigte, wurde der Text mangels Diktion und aufgrund der Kontrapunktik häufig nicht verstanden. Nur der russische Bariton Alexey Bogdanchikov singt seine Partien auswendig, und der kurzfristig für den in der Titelrolle angekündigten Toby Spence eingesprungene Stephen Chaundy, mit lyrischem Witz, immerhin seine tränendrückende Arie kurz vor Schluss.

Jenseits der virtuosen Arie „Glitter And Be Gay“ obsiegt Simone Kemes in der Role der Cunigonde als theatrale Erscheinung: mit einem vorne breit geschlitzten, gold gewirkten Hüftpuffer-Kleid und mit Superhochfrisur, lasziven Blicken und klamottiger Mimik über ihrem Klavierauszug, verzeiht man ihr auch den einen oder anderen nicht so ganz sauber geglückten Ton. Einen stimmlichen Gewinn gegenüber der Staatsopernproduktion stellt die Besetzung des Philosophen Pangloss und seines Widerparts Martin durch Simon Pauly dar, der mit enormen Farben aufwartet, bis hin zu degoutanten, verächtlichen Geräuschen von Abscheu. Für eine echte Überraschung sorgt die greise Mezzosopranistin Grace Bumbry, einstens Wieland Wagners schwarze Venus in Bayreuth, als Alte Lady, mit erstaunlich unverbrauchter, kraftvoller Tongebung und ohne Flackern.

Der zunächst nach jeder Nummer einsetzende Zwischenapplaus ließ angesichts der überaus großen Anzahl von Nummern nach, war aber am Ende immer noch stürmisch, mit vielen Bravo-Rufen.

Weitere Vorstellung: 18. März 2012.

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