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Titelbild:  Das Arditti Quartet bei „Mouvement“ 2011 in Saarbrücken. Foto: Astrid Karger
Titelbild: Das Arditti Quartet bei „Mouvement“ 2011 in Saarbrücken. Foto: Astrid Karger
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Vierzig Jahre im Dienst für die Neue Musik

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Das Arditti Quartet schreibt Geschichte für die Komponisten der Gegenwart · Von Gerhard Rohde
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„Es gibt kein Streichquartett, das den Ardittis das Wasser reichen kann.“ Das sagte einmal der Komponist John Cage. Vor drei Jahren geschah etwas denkwürdiges: Armin Köhler, beim Südwestrundfunk zuständig für neue Klänge und die Donaueschinger Musiktage, lud die Ardittis, die aktuelle Besetzung und einige Ehemalige, zu einem musikalisch-kulinarischen Symposium in das barocke Herrenhaus zu Edenkoben ein.

Es war überwältigend, wie sich die drei einstigen Partner, der Cellist Rohan de Saram, der Geiger Graeme Jennings und der Bratscher Garth Knox mit ihren Nachfolgern zusammenfanden, als wären sie nie getrennt gewesen. In Schönbergs Streichsextett „Verklärte Nacht“ saßen alte und neue „Ardittis“ harmonisch zusammen – eine glänzende Darstellung des Werkes, klar durchgezeichnet in den Strukturen, ausgewogen, beinahe süffig im Klangfarbenrausch. Zuvor hatten die drei „Alten“ Salvatore Sciarrinos Trio „Codex Purpureus“ mit gewohnter Meisterschaft gespielt.

Edenkoben erschien wie ein Brennglas für die Musik unserer Zeit: Berio, Dusapin, Baltakas, Kui Dong, Harvey, Benjamin, Donatoni, Nishimura, Xenakis, Carter, Ferneyhough, Ligeti, Rihm – die „Vier Ardittis“, neben dem Gründer Irvine Arditti der zweite Geiger Ashot Sarkissjan, der Bratscher Ralf Ehlers und der Cellist Lucas Fels – demonstrierten eindringlich zweierlei: einmal die große kompositorische Substanz der entstandenen Werke, zum Zweiten aber auch, wie wichtig für die Neue Musik die Interpretation geworden ist.

Vor vierzig Jahren versammelte Irvine Arditti, bis heute Primarius des auf seinen Namen getauften Streichquartetts, drei Studienkollegen für eine Penderecki-Hommage seiner Hochschule. Von Beginn an wusste Irvine Arditti, was er wollte: Die Tradition des klassischen Streichquartetts, wie sie Haydn begründet hatte, fortführen, aber nicht mit dem überlieferten Repertoire, sondern mit der Musik unserer Zeit, vor allem aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts bis zu den aktuellen kompositorischen Erkundungen der jungen und jüngsten Komponisten. Wie viele Werke hat das Arditti Quartet uraufgeführt? Als das Quartett 1999 für seinen Einsatz für die Neue Musik den Ernst von Siemens Musikpreis erhielt, waren es mehr als zweihundertfünfzig, inzwischen dürften rund hundert dazugekommen sein. Aber die bloße Zahl bedeutet nicht das Entscheidende: Es ist wie bei den Goldgräbern – man muss einige Kubikmeter Erde bewegen, um schließlich ein Körnchen Gold zu finden. Die Ardittis haben viele Goldstücke gefunden, und wenn diese, wie in Edenkoben, zusammengefasst aufgeführt werden, dann erkennt man, fast ein wenig überrascht, wie groß die künstlerische Substanz ist, die von den Komponisten der Neuen Musik, in diesem Fall in vier Jahrzehnten, geschaffen wurde.

Bei den kommenden „Tagen für neue Kammermusik“ in Witten ist ein Konzert allein dem Arditti Quartet gewidmet. Der Titel: „Gifts & Greetings: Arditti’s 40th Anniversary“. Dreizehn Komponisten schrieben zum Anlass kurze Stücke, die dabei uraufgeführt werden: Mark Andre, Hans Abrahamsen, Harrison Birtwistle, Uri Caine, Brian Ferneyhough, Toshio Hosokawa, György Kurtág, Liza Lim, Hilda Paredes, Brice Pauset, Wolfgang Rihm, Marco Stroppa und Jenifer Walshe. Das Arditti Quartet kennt solche Huldigungen, wenn auch in anderer Besetzung: zum neunzigsten Geburtstag des Musikverlegers Alfred Schlee sowie der Universal-Edition in Wien hatten sechsunddreißig Komponisten des Verlages gleichfalls kurze Werke geschrieben, die alle vom Arditti Quartet einstudiert und uraufgeführt wurden. Bewundernswert, wie sich die Ardittis mit unendlicher Geduld in die oft recht unterschiedlichen Schreibweisen der einzelnen Komponisten einfühlten. Dabei konnte es zum Beispiel geschehen, dass ein einzelner Pizzicato-Ton des Cellisten eine halbe Stunde Probe benötigte, ehe der Komponist zufrieden war: György Kurtág beugte sich immer wieder von hinten über Rohan de Saram, um ihm zu zeigen, wie man den Ton anzupfen müsste: mit tonlosem gleichwohl atmendem Anspannen und verhauchendem Entspannen. Wie der Tristan-Akkord, den Kurtág schließlich auf dem nahen Flügel anschlug, um seine Vorstellung zu verdeutlichen.

Es war eine eindrucksvolle Demonstration einer Arbeitsweise, die in der Neuen Musik von vielen qualifizierten Ensembles angewendet wird: Der Komponist schreibt ein Stück und denkt dabei immer auch schon an die Interpreten, die es aufführen werden. Wie auch die Interpreten den Komponisten oft beraten, was technisch möglich ist: der Interpret komponiert mit. Dabei hat man oft den Eindruck, dass der Komponist manchmal mit diebischer Freude besondere Schwierigkeiten notiert, weil er weiß, „die“ können das, wenn sie wollen. Wenn das Arditti Quartet zum Beispiel die Noten einer Novität von Ferneyhough auf den Pulten hat, dann staunt der Zuhörer, der zugleich die Noten sieht, wie man aus der Komplexität, dem dichten Gewimmel von Noten, Linien, Zeichen überhaupt so etwas wie Musik herausdestillieren kann. Das sind dann die Augenblicke, in denen Irvine Arditti mit seinen jetzigen Mitspielern Lucas Fels, Ashot Sarkissjan und Ralf Ehlers zu großer Form aufläuft. Alles erscheint klar, durchgestaltet, spannungsvoll und mit jener intellektuellen Brillanz überwölbt, die eine Interpretation dem Werk ebenbürtig macht. Schlusswort von John Cage: siehe oben!

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